Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Ein Kind wird auch dann im Sinn von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn es neben dem Zivildienst ein Studium ernsthaft und nachhaltig betreibt.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Sohn der Klägerin hatte neben dem Zivildienst ein berufsbegleitendes Studium aufgenommen. Nach den eingereichten Unterlagen erforderte das Studium während der Vorlesungszeit einen Zeitaufwand von durchschnittlich mehr als 20 Wochenstunden, die Lehrveranstaltungen fanden an zwei bis drei Tagen je Woche statt.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab. Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, der Gesetzgeber habe für Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes grundsätzlich nur die Verlängerung nach § 32 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG vorgesehen (EFG 2001, 1059).
Entscheidung
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück. Die zeitlichen Anforderungen an eine Berufsausbildung seien grundsätzlich auch bei einem Studium neben dem Zivildienst erfüllt, wenn der Studierende die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibe. Der Anerkennung des Studiums stehe nicht entgegen, dass der Zivildienst nicht in den Katalog des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG aufgenommen worden sei.
Auch aus der Vorschrift des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG, nach der Kinder, die den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst leisten, bei einer Berufsausbildung noch über das 27. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer dieser Dienste entsprechenden Zeitraum berücksichtigt werden können, sei nicht zu schließen, dass bei einem Studium neben dem Zivildienst Kindergeld nicht gewährt werden könne.
Das FG werde aber noch Feststellungen dazu zu treffen haben, ob der Sohn dem Studium ernsthaft und nachhaltig nachgegangen sei. Außerdem müssten noch die Einkünfte und Bezüge des Sohns festgestellt werden.
Hinweis
Kindergeld wird u.a. auch für Kinder in Berufsausbildung gewährt (§ 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG). Der Begriff der Berufsausbildung ist weit auszulegen; darunter fällt alles, was den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen für einen angestrebten Beruf dient. Auslegungsprobleme ergeben sich aber vor allem dann, wenn das Kind bereits einen Beruf hat, der ihm den Lebensunterhalt sichert und es entweder neben diesem oder über diesen eine Ausbildung verfolgt.
Über den zuletzt genannten Fall eines Ausbildungsdienstverhältnisses hat der BFH erst vor kurzem entschieden (Urteil vom 16.4.2002, VIII R 58/01, BFH-PR 2002, 329 betreffend Offiziersanwärter). In der vorliegenden Entscheidung geht es um die erste Sachverhaltsgruppe.
Hier gewährt die Rechtsprechung grundsätzlich kein Kindergeld, wenn die Berufsausbildung neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit erfolgt (zuletzt BFH, Urteil vom 19.2.2002, VIII R 90/01, Juris); aber auch hier ist offen geblieben, wie zu entscheiden ist, wenn das Kind neben einer solchen Erwerbstätigkeit in eingeschränktem Umgang studiert (BFH, Urteil vom 23.11.2001, VI R 77/99, BFH-PR 2002, 168).
Im Übrigen hat die Rechtsprechung angenommen, dass eine Berufsausbildung auch dann vorliegen könne, wenn das Kind seine Zeit und Arbeitskraft nicht in überwiegendem Umfang für das Studium, sondern für eine Erwerbstätigkeit aufwendet. Das gilt nach dem vorliegenden Urteil auch, wenn das Kind seinen Zivildienst oder – wie zu ergänzen ist – seinen Grundwehrdienst ableistet. Entscheidend ist allein, dass das Kind die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betreibt.
Der Kindergeldanspruch der Eltern entfällt in diesem Fall nur, wenn das Kind nicht (mehr) unterhaltsbedürftig ist. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, bestimmt sich danach, ob der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in seiner jeweiligen Fassung überschritten ist.
Allerdings wird sich nach dieser weitgehenden Anerkennung der Berufsausbildung neben dem Zivildienst oder dem Grundwehrdienst die Frage stellen, ob dann nicht die in § 32 Abs. 5 Nr. 1 EStG vorgesehene Verlängerung der Berücksichtigungsfähigkeit des Kindes über das 27. Lebensjahr hinaus ganz oder teilweise entfällt (vgl. dazu FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.3.1998, 1 K 96/97, EFG 1998, 1068).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 14.5.2002, VIII R 61/01