Leitsatz
Eltern, deren verheiratetes Kind noch in der Ausbildung ist und von seinem Ehegatten getrennt lebt, haben Anspruch auf Kindergeld, wenn der Ehegatte des Kindes keinen Trennungsunterhalt zahlt.
Normenkette
§ 32 Abs. 4, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG, § 1608 BGB
Sachverhalt
Im Streitfall hatte sich die verheiratete Tochter des Klägers von ihrem Ehegatten getrennt. Weil der Ehemann den Unterhaltsforderungen nicht nachkam, wurde er vom Amtsgericht dazu verpflichtet, an die Tochter des Klägers Getrenntlebendenunterhalt zu zahlen. Dieser Verpflichtung wurde nicht nachgekommen. Die Tochter des Klägers beauftragte daraufhin einen Gerichtsvollzieher zur Durchsetzung ihrer Ansprüche. Zur Abwendung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung kam es -- außerhalb des Streitjahrs -- letztendlich zu einem Vergleich und einer entsprechenden Zahlung.
Die Familienkasse berücksichtigte den Anspruch auf Trennungsunterhalt als eigenen Bezug der Tochter, mit der Folge, dass der Grenzwert für das Kindergeld überschritten wurde. Den Einwand des Klägers, dass der Trennungsunterhalt nicht erfüllt wurde, ließ die Familienkasse unter Hinweis auf die Regelung in DA 63.4.2.5 Abs. 6 DA-FamEStG nicht gelten.
Entscheidung
Nach Auffassung des Senats ist im Fall eines verheirateten, aber getrennt lebenden Kindes der Frage nachzugehen, ob die Realisierung des Unterhaltsanspruchs dem Kind während des maßgebenden Zeitraums tatsächlich möglich gewesen wäre. Kann hiernach das Kind seinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem getrennt lebenden Ehegatten trotz aller ihm zumutbaren Bemühungen nicht durchsetzen, ist von einem sog. Mangelfall im Sinn der BFH-Rechtsprechung auszugehen. Im Streitfall hat die Tochter nach Überzeugung des Gerichts alles dafür getan, um ihre Ansprüche auf Trennungsunterhalt zu realisieren. Von einem Verzicht nach § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG war im Streitfall daher nicht auszugehen.
Die in einem späteren Veranlagungszeitraum erfolgte Vergleichszahlung war aufgrund des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG im Streitjahr ohne Bedeutung.
Der Klage wurde daher stattgegeben.
Hinweis
1. Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind besteht nur dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG gegeben sind.
Für den Fall, dass das volljährige Kind verheiratet ist, hat der BFH den Anspruch auf Kindergeld von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, dass für die Eltern eine „typische Unterhaltssituation” gegeben ist.
In seinem grundlegenden Urteil vom 02.03.2000, VI R 13/99 hat er hierzu Stellung genommen. Demnach erlischt der Kindergeldanspruch für ein volljähriges Kind grundsätzlich ab der Eheschließung des Kindes, weil der Ehegatte des Kindes zu dessen Unterhalt verpflichtet ist.
Der Kindergeldanspruch erlischt ausnahmsweise nicht, wenn das Einkommen des Ehegatten so gering ist, dass dieser zum Unterhalt des Kindes nicht in der Lage ist (z.B. Studentenehe) und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind aufkommen müssen (sog. Mangelfall).
2. Was unter einem Mangelfall in dem vorgenannten Sinn zu verstehen ist, hat der BFH in seiner Entscheidung vom 19.04.2007, III R 65/06 (BFH-PR 2007, 385) näher erläutert.
Bei kinderlosen Ehen ist dies anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners unterhalb des steuerrechtlichen Existenzminimums liegen, das dem Jahresgrenzbetrag in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht.
3. Im Besprechungsurteil war zu klären, ob die Rechtsgrundsätze des BFH auch dann gelten, wenn das verheiratete Kind von seinem Ehegatten getrennt lebt und von diesem keinen Trennungsunterhalt bekommt.
4. Nach Auffassung des Senats ist entscheidend, ob das verheiratete Kind die Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehegatten auch tatsächlich erhalten hat. Fehlt es am Zufluss und liegt auch kein freiwilliger Verzicht vor, bleibt demnach der Kindergeldanspruch bestehen.
Link zur Entscheidung
Hessisches FG, Urteil vom 11.12.2007, 3 K 3174/05 -- Rev. III R 8/08