Leitsatz
1. Ob der Anspruchsteller nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde und deshalb nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Kindergeld beanspruchen kann, richtet sich nach dem Einkommensteuerbescheid, soweit dieser nicht auf falschen Angaben des Steuerpflichtigen beruht (Senatsurteil vom 22.02.2018 – III R 10/17, BFHE 261, 214, BStBl II 2018, 717). Dies gilt auch dann, wenn der Bescheid materiell-rechtliche Fehler aufweist.
2. Erzielt ein im Ausland wohnender Steuerpflichtiger aus der Verpachtung einer inländischen Immobilie oder eines inländischen Betriebs i.S. des § 49 EStG inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus Vermietung und Verpachtung, so berechtigt dies zum Kindergeldbezug in allen Monaten, in denen das Pachtverhältnis besteht und für die eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt. Aktiver Tätigkeiten (z.B. Instandhaltungsmaßnahmen) oder Zahlungseingängen in den jeweiligen Monaten bedarf es dazu nicht.
Normenkette
§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 1 Abs. 3, § 49 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin lebte seit 1967 auf einer deutschen Insel und betrieb dort ein Hotel. Im Oktober 2015 verpachtete sie das Hotel; ausgenommen war die Wohnung im ersten Obergeschoss, die sie zunächst weiterhin nutzte. Aus der Verpachtung erzielte sie ausweislich ihrer Jahresabschlüsse 2016 und 2017 gewerbliche Einkünfte. Am 20.5.2016 meldete sie sich mit einer neuen Anschrift in Italien ab.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für die Tochter der Klägerin für Juni 2016 bis Oktober 2017 auf.
Das für die Klägerin zuständige FA bestätigte im Mai 2018, dass sie bis Mai 2016 gemäß § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Danach sei sie wegen inländischer Einkünfte gemäß § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig. Ab 2017 würden die Eheleute von einem anderen FA als beschränkt steuerpflichtig geführt.
Das FG gab der Klage statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 20.11.2018, 3 K 78/18, Haufe-Index 13857690). Es entschied, die Klägerin habe ihren inländischen Wohnsitz nach der Abmeldung am 20.5.2016 aufgegeben. Darauf komme es aber nicht an, denn ihr stehe dann ein Kindergeldanspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG zu.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Der BFH stimmte dem FG zu, dass Kindergeld in allen Monaten beansprucht werden kann, in denen die Klägerin aufgrund der Verpachtung ihres ehemaligen Betriebs nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt wurde. Es fehlte aber die Feststellung eines entsprechenden ESt-Bescheids und die Prüfung von Familienleistungsansprüchen in Italien.
Hinweis
1. ESt wird jeweils für ein Kalenderjahr festgesetzt, das Kindergeld jedoch für Monate. Wer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird, kann daher Kindergeld nur in den Kalendermonaten beanspruchen, in denen er Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der ESt unterliegen.
2. Gewinneinkünfte werden im Hinblick auf das kindergeldrechtliche Monatsprinzip erzielt, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird. Da diese bei einer Betriebsverpachtung nach § 15 EStG in der Gebrauchsüberlassung zu sehen ist (§ 581 BGB) und nicht in aktiven Tätigkeiten, werden daraus resultierende Einkünfte in allen Monaten erzielt, in denen das Pachtverhältnis besteht. Nichts anderes gilt, wenn aus der Überlassung inländischen Vermögens nicht Gewinneinkünfte, sondern Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung erzielt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 21 EStG). Unerheblich ist, ob in den jeweiligen Monaten aktive Tätigkeiten entfaltet werden (z.B. Instandhaltungsmaßnahmen am Grundstück oder Verwaltungsaufgaben) oder Zahlungen eingehen.
3. Dem Einkommensteuerbescheid kommt für den Kindergeldanspruch Bindungswirkung zu, soweit er nicht auf falschen Angaben des Steuerpflichtigen beruht. Da § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nur eine tatsächliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG fordert und eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG auf inländischen Einkünften jeder der sieben Einkunftsarten beruhen kann, kommt es nicht darauf an, ob das FA die inländischen Einkünfte der zutreffenden Einkunftsart zugeordnet hat oder andere materiell-rechtliche Fehler begangen hat.
4. Ob eine tatsächliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG erfolgt ist, muss für jeden Anspruchszeitraum festgestellt werden. Das kann aufgrund des erst nach Ablauf des VZ zu stellenden Antrags in der Regel nur nachträglich erfolgen. Erforderlich ist grundsätzlich ein entsprechender Einkommensteuerbescheid.
Den von der Klägerin hier erst im NZB-Verfahren vorgelegten ESt-Bescheid für 2017 musste der BFH als Revisionsgericht unbeachtet lassen.
5. Soweit ein Kindergeldanspruch besteht, muss weiter ermittelt werden, ob für das Kind auch in einem anderen Mitgliedstaat Familienleistungen beansprucht werden können, die nach Art. 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 mit dem Kindergeldanspruch zu koordinieren sind. Dabei könnte es unschädli...