Prof. Dr. Andreas Ransiek
I. Zollstraftaten
Rz. 15
§ 369 Abs. 1 AO stellt in seinem Klammerzusatz ausdrücklich Zollstraftaten den Steuerstraftaten gleich. Da nach § 3 Abs. 3 AO Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK Steuern i.S.d. AO sind, ist die Nennung überflüssig geworden. Durchfuhr- oder Transferzölle als die neben Einfuhr- und Ausfuhrabgaben dritte mögliche Art eines Zolls sind nach Art. V 3. GATT ohnehin unzulässig. Nr. 266, 267 RiStBV verwenden ebenfalls den Begriff der Zollstraftat neben dem der Steuerstraftat.
II. Taten, die nach den Steuergesetzen strafbar sind (§ 369 Abs. 1 Nr. 1 AO)
1. Formale Abgrenzung
Rz. 16
Nach der früheren Regelung (s. Rz. 1) stellte jede strafbewehrte Verletzung einer steuerlichen Pflicht ein Steuervergehen unabhängig davon dar, ob der Straftatbestand selbst Teil eines Steuergesetzes war. Demgegenüber liegt der heutigen Regelung eine formale Abgrenzung zugrunde. Nicht der materielle (steuerrechtliche) Unrechtsgehalt der jeweiligen Strafvorschrift ist entscheidend, sondern allein ihr Standort in einem Steuergesetz.
2. Androhung von Strafe
Rz. 17
Zu unterscheiden sind die Steuerstraftaten insb. von den Steuerordnungswidrigkeiten und Normen mit besonderen steuerrechtlichen oder sonstigen Sanktionen wie dem Verspätungs- (§ 152 AO) oder Säumniszuschlag (§ 240 AO) bzw. dem nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO zu zahlenden Geldbetrag (s. § 398a Rz. 4 m.w.N.). Entscheidend für die Einordnung als Strafnorm ist die Androhung von Geld- oder Freiheitsstrafe, wobei allerdings vor allem bei der Geldstrafe problematisch ist, ob die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung einer Geldsanktion für ihre Qualifikation als Strafe oder Nicht-Strafe mit den daraus folgenden Konsequenzen – insb. der Anwendbarkeit der im Strafverfahren geltenden Schutzvorschriften zugunsten des Beschuldigten – verbindlich sein kann oder ob nicht die Besonderheit der Strafe unabhängig von ihrer Bezeichnung aus materiellen Kriterien abzuleiten ist. Nicht entscheidend für die Einordnung als Strafe oder sonstige Sanktion ist jedenfalls die Höhe einer angedrohten Geldsanktion, da etwa die Geldbuße im Kartellrecht ein Vielfaches der im Kriminalstrafrecht zulässigen Geldstrafe erreichen kann und auch tatsächlich erreicht. Sicher ist auch, dass nicht jede Einbuße an Freiheit oder Vermögen den Strafcharakter einer Sanktion begründet und dass Strafe mehr als eine reine Präventionsmaßnahme ist.
Rz. 18
Ob jedoch der nach verbreiteter Auffassung mit der Strafe verbundene besondere sozialethische Tadel als Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit für einen schuldhaften Normverstoß ausreicht, Strafe qualitativ oder doch zumindest quantitativ von anderen Sanktionen abzuheben und die Besonderheit der Strafe zu begründen, ist zweifelhaft. Verfolgt der Gesetzgeber bewusst nicht den Zweck, mit einer Sanktion einen solchen Tadel auszudrücken, wäre es ihm freigestellt, durch diesen Verzicht den besonderen verfassungsrechtlichen Bindungen des Strafrechts zu entgehen. Eine Geldsanktion könnte dann bspw. gesetzlich gerade nicht als Strafe für steuerunehrliches Verhalten ausgestaltet und so benannt werden, sondern in der Verhängung eines Vielfachen der hinterzogenen Steuer unter der Bezeichnung Steuerzuschlag (so etwa früher die Regelung in Preußen) bestehen. Damit könnte etwa das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip des Strafrechts, nach dem die Verhängung von Strafe persönliche Schuld voraussetzt, oder der "in dubio pro reo"-Grundsatz unterlaufen werden.
Rz. 19
Praktische Bedeutung hat die Einordnung einer Sanktion und des Verfahrens, in dem sie verhängt wird, heute etwa für die Geltung des "ne bis in idem"-Grundsatzes auf europäischer Ebene, wenn zu klären ist, ob es sich um eine strafrechtliche Aburteilung der Tat oder ggf. nur um eine verwaltungs- oder steuerrechtliche Erledigung des Verfahrens nicht strafrechtlicher Natur handelt (s. § 370 Rz. 561 ff.).