Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1768
In der Literatur war umstritten, ob den an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Akteuren überhaupt grds. ein Strafvorwurf gemacht werden kann. Nach Auffassung von Krumm/Seer ist eine strafrechtliche Relevanz aufgrund des Ultima-ratio-Charakters des Strafrechts grds. abzulehnen. Vonseiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden wird demgegenüber durchgängig die Auffassung vertreten, dass die Geltendmachung der (zweiten) Kapitalertragsteueranrechnung bzw. -erstattung durch den Erwerber bei Cum-Ex-Transaktionen strafrechtlich relevant sei. Dieser Auffassung hat sich auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE angeschlossen.
Rz. 1769
Eine frühe Kriminalisierung haben Cum-Ex-Geschäfte durch die im Aussetzungsverfahren ergangene Entscheidung des Hessischen FG vom 8.10.2012 erfahren. Nach der darin geäußerten Ansicht des Gerichts ist die Rechtsauffassung, nach der gesetzlichen Regelung sei (durch die Emittentin) abgeführte Kapitalertragsteuer ggf. auch doppelt anzurechnen, "abwegig". Die Antragstellerin habe das FA arglistig über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Steueranrechnung getäuscht, um sich nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu verschaffen.
Rz. 1770
In der ersten Entscheidung eines Strafgerichts hat das LG Köln der Auffassung, es habe sich allenfalls um die straflose Ausnutzung einer "Gesetzeslücke" gehandelt, eine Absage erteilt. Das LG Köln formuliert darin auszugsweise:
"Dass der Gesetzgeber die ihm zur Kenntnis gelangte Möglichkeit, dieses Grundprinzip zu unterlaufen und eine unberechtigte Kapitalertragsteuererstattung zu erlangen, erst mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz mit Wirkung ab dem 1.1.2012 unterbunden hat, zeugt allenfalls von der (vermeintlichen) Machtlosigkeit des Gesetzgebers angesichts der von einigen Marktteilnehmern im Zusammenhang mit Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag entwickelten Gestaltungsmodelle."
Richtig ist daran m.E. zunächst die Feststellung eines gesetzgeberischen Versäumnisses. Obwohl dem Gesetzgeber die Problematik grds. seit dem Schreiben des Bundesverbandes deutscher Banken vom 20.12.2002 bekannt war, gab es bis zum Jahr 2012 keine effektive Regelung, mit der die Steuerausfälle im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften verhindert werden konnten. Dem Stpfl. in dieser Situation zu unterstellen, es wäre von jeher offensichtlich gewesen, dass eine (doppelte) Anrechnung von Kapitalertragsteuer rechtswidrig sei, ist vor diesem Hintergrund fast schon paradox. Jedenfalls ist eine Verfolgung mit den Mitteln des Strafrechts vor diesem Hintergrund per se äußerst fragwürdig.
Umfassend zur Strafbarkeit der Cum-Ex-Geschäfte hat sich das LG Bonn in seiner Entscheidung vom 18.3.2020 geäußert. Das LG Bonn stellt mit deutlichen Worten die Strafbarkeit fest:
"Zusammenfassend können für CumEx-Leerverkaufsgestaltungen [...] weder die von Teilen der Literatur bemühten Ansätze, hinsichtlich der leer gekauften Aktie die Voraussetzungen des § 39 AO in der Person des Leerkäufers im Zeitpunkt der Gewinnverteilungsbeschlüsse zu begründen, noch die Versuche, von einem zu seinen Gunsten wirkenden Steuereinbehalt auszugehen, überzeugen. Ihnen liegt eine unzureichende Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Vorgaben, teilweise sogar eine grobe Missachtung tragender Prinzipien des Zivil- und Verfassungsrechts zugrunde. Wie bereits von anderer Seite zutreffend aufgezeigt worden ist, sind die Autoren, die einen Anrechnungsanspruch des Leerkäufers nach § 31 Abs. 1 KStG [VZ 2007] i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG [VZ 2007] bejahen wollen, eine überzeugende Begründung hierfür letztlich stets schuldig geblieben, zumal der Gesetzestext angesichts der lange Zeit kontrovers geführten Fachdiskussion fast schon "unerwartet einfach" und eindeutig ist" (Hervorhebungen nur hier).