Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1404
Neben der Frage des Vorsteuerabzugs der in ein Umsatzsteuerkarussell eingebundenen Unternehmer stellt sich für die Unternehmer, die grenzüberschreitende Lieferungen in das EU-Ausland erbringen und sich auf die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen berufen, die Frage nach der Versagung der Steuerbefreiung. Insoweit ist hier einerseits das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen häufig kritisch. Andererseits besteht – vergleichbar der Situation beim Vorsteuerabzug – die Problematik einer Versagung der Steuerbefreiung bei Einbindung in ein Missbrauchskonstrukt.
Rz. 1404.1
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, wobei die Steuerbarkeit nicht entfällt, wenn der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt. Als Ausnahme von dieser grundsätzlichen Steuerbarkeit der vorgenannten Umsätze bestimmt § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG, dass innergemeinschaftliche Lieferungen i.S.v. § 6a UStG steuerfrei sind. Als Abweichung vom Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, nach dem die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird, findet diese Steuerbefreiung ihre Grundlage in der Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel, in deren Rahmen die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz beruht, dass die Steuereinnahmen dem Mitgliedstaat zustehen, in dem der Endverbrauch erfolgt. Auf diese Weise kann durch die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Mitgliedstaat des Beginns der innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung von Gegenständen, welcher ein innergemeinschaftlicher Erwerb entspricht, der im Mitgliedstaat der Beendigung dieser Versendung oder Beförderung besteuert wird, die Doppelbesteuerung und damit eine Verletzung des dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem innewohnenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität vermieden werden.
Rz. 1404.2
Eine innergemeinschaftliche Lieferung i.S.v. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG liegt gem. § 6a Abs. 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
§ 6a UStG Innergemeinschaftliche Lieferung
(1) Eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nummer 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
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1. der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet, |
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2. der Abnehmer ist
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a) ein in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasster Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, |
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b) eine in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasste juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder |
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c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber, |
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3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung und |
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4. der Abnehmer im Sinne der Nummer 2 Buchstabe a oder b hat gegenüber dem Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet. |
Der Gegenstand der Lieferung kann durch Beauftragte vor der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet bearbeitet oder verarbeitet worden sein.
Darauf, ob die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im anderen Mitgliedstaat tatsächlich durchgeführt wurde, kommt es hingegen nicht an. Nach § 6a Abs. 2 UStG gilt als innergemeinschaftliche Lieferung auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstands i.S.v. § 3 Abs. 1a UStG.