Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1100
Der Begriff des Amtsträgers ist in § 7 AO und § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB – weitgehend gleichlautend – definiert. Für § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO ergibt sich die Amtsträgereigenschaft wegen § 369 Abs. 2 AO nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, sondern aus § 7 AO. In der Sache bestehen indes keine Unterschiede, da die Definitionen weitgehend identisch sind. Nach § 7 AO ist Amtsträger, wer nach deutschem Recht
- 1. Beamter oder Richter ist,
- 2. in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder
- 3. sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.
Durch Art. 6 des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 20.11.2015 wurde der Anwendungsbereich des § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO erweitert, da zusätzlich der Europäische Amtsträger als Täter dieses Regelbeispiels eingefügt wurde. Diese Änderung dient der Überleitung der Bestimmung des Art. 2 § 1 Abs. 2 Nr. 2 EUBestG in das nationale Recht.
Da § 7 AO nicht geändert wurde und folglich keine Definition des Europäischen Amtsträgers enthält, ist gem. § 369 Abs. 2 AO auf die in § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB enthaltene Legaldefinition zurückzugreifen. Dies ergibt sich aufgrund der expliziten Bezugnahme des Wortlauts von § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO auf § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB. Danach ist als Europäischer Amtsträger zu qualifizieren, wer
- a) Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts der EU ist,
- b) Beamter oder sonstiger Bediensteter der EU oder einer auf der Grundlage des Rechts der EU geschaffenen Einrichtung ist oder
- c) mit der Wahrnehmung von Aufgaben der EU oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der EU geschaffenen Einrichtung beauftragt ist.
Als Gericht i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. a StGB sind bspw. der Gerichtshof der EU, das Gericht der EU oder das Gericht für den öffentlichen Dienst der EU einzuordnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Zukunft weitere beigeordnete Fachgerichte der Union für Sonderbereiche vom Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. a StGB umfasst werden.
§ 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. b StGB stellt entgegen früherer Terminologie des EUBestG nicht mehr auf den Gemeinschaftsbeamten ab, sondern umfasst alle Beamten und sonstigen Bediensteten der EU und der Einrichtungen, die auf Grundlage des Unionrechts geschaffen wurden.
§ 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. c StGB ist als Auffangbestimmung zu qualifizieren. Nach Auffassung des Gesetzgebers sind von § 11 Abs. 1 Nr. 2a Buchst. c StGB bspw. im Rahmen eines Werkvertrages beauftragte Personen, die funktionell Bediensteten gleichzustellen sind, sowie Mitglieder von Einrichtungen der EU umfasst, nicht hingegen – mangels Auftragsverhältnis zur EU – die Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates oder des Rates.
Während es im Hinblick auf die Modifizierung der Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB) durch die Einfügung des Europäischen Amtsträgers zu einer praxisrelevanten Erweiterung des Anwendungsbereiches dieser Delikte kommen dürfte, bleibt abzuwarten, ob dieses Ergebnis auch bezüglich § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO eintreten wird.
Bei der Amtsträgereigenschaft handelt es sich um ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 2 StGB (analog). Eine Strafschärfung nach § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO kommt demnach nur für den Täter oder Teilnehmer in Betracht, bei dem die Amtsträgereigenschaft vorliegt.
Entsprechend dem Sinn und Zweck des § 370 Abs. 3 AO als einem besonders schweren Fall einer Steuerhinterziehung kommen als Amtsträger i.S.v. § 7 AO nur die Amtsträger einer Finanz- oder sonst mit Steuerangelegenheiten befassten Behörde (z.B. die Familienkassen) als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung in Betracht, insb. also die Veranlagungssachbearbeiter und die entsprechenden Sachgebiets- und Dienststellenleiter.
Rz. 1101
Unstreitig vom Regelbeispiel erfasst ist der Fall, dass ein (unzuständiger) Amtsträger auf den zuständigen Finanzbeamten einwirkt. Dies ist bspw. der Fall, wenn ein nicht zur Entscheidung befugter Bediensteter bescheinigt, dass bestimmte Belege vorgelegen hätten, aus denen sich eine Steuerermäßigung ergibt, oder wenn ein Betriebsprüfer steuerschädliche Feststellungen nicht in seinem Bericht vermerkt. Gleiches gilt, wenn der eingeweihte Vorgesetzte des Veranlagungsbezirks die in seinen Verantwortungsbereich fallende Tat fördert.
Rz. 1102
Umstritten ist indes, ob zum Täterkreis des § 370 Abs. 3 Nr. 2 AO auch der sachlich zuständige Finanzbeamte zählt. Unter Aufgabe der bisherigen Auffassung ist nach der hier vertretenen Ansicht in Übereinstimmung mit der Rspr. das Regelbeispiel nicht nur auf den unzuständigen Beamten anzuwenden. Die Unzuständigkeit ist vielmehr nur eine Form des zur Strafschärfung führenden Amtsmissbrauchs. Zur Begründung verweist der BGH darauf, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ni...