Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 221
Umstritten ist, ob § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch durch Unterlassen begangen werden kann (s. schon Rz. 201 f.). Der Wortlaut der Vorschrift, die als Begehungsdelikt ausgestaltet ist (Angaben machen), kann dabei nicht überzeugend als Gegenargument gegen eine Unterlassungsstrafbarkeit angeführt werden. Denn üblicherweise beschreiben die Tatbestände des StGB ein aktives Tun, und das Unterlassen der gebotenen Handlung wird erst durch § 13 Abs. 1 StGB ebenfalls für tatbestandsmäßig erklärt. Deshalb ist etwa auch eine Täuschung durch Unterlassen der gebotenen Aufklärung bei § 263 StGB oder eine Wegnahme durch Unterlassen bei § 242 StGB denkbar, obwohl beide Worte aktives Tun umschreiben.
Rz. 222
Für eine mögliche Strafbarkeit des Unterlassens nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB spricht zunächst, dass nach § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht die allgemeinen Regeln des Strafrechts gelten (s. § 369 Rz. 80 f.) und somit auch § 13 StGB. Eine solche Strafbegründung würde dabei jedenfalls voraussetzen, dass der Unterlassende rechtlich verpflichtet ist, den Eintritt des Steuerverkürzungserfolgs zu verhindern. Vorausgesetzt wäre ferner, dass der Hinterziehungserfolg nicht schon eingetreten und seine Abwendung deshalb überhaupt noch möglich ist.
Beispiel
Führt ein Rechenfehler der FinB, an dem der Stpfl. keinerlei Schuld trägt, zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung, kann das Unterlassen, auf diesen Fehler hinzuweisen, ohnehin nicht zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB in Bezug auf die schon erfolgte Steuerfestsetzung führen. Da auch die Berichtigungspflicht des § 153 Abs. 1 AO nicht greift und für eine weitergehende strafrechtliche Garantenstellung nach § 13 StGB nichts ersichtlich ist, liegt auch in Bezug auf das Belassen des durch die zu niedrige Festsetzung erlangten Vorteils (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO) keine Strafbarkeit vor.
Rz. 223
Hält man eine Begehung der Nr. 1 durch garantenpflichtwidriges Unterlassen für möglich, ist eine Strafbarkeit insbesondere dann denkbar, wenn der Täter eine dritte Person nicht an der Abgabe falscher Erklärungen hindert, obwohl er dazu verpflichtet ist. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Vater seinen minderjährigen Sohn nicht von einer Zollhinterziehung abhält, aber auch, wenn bereits gemachte Falschangaben nicht berichtigt werden (§ 153 AO). Bedeutung hat dies insbesondere für die (steuer-)strafrechtliche Verantwortung des sog. Compliance Officers in Unternehmen, den regelmäßig die Pflicht nach § 13 StGB trifft, Rechtsverstöße zu verhindern, und zwar auch Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus gegen Dritte begangen werden und dem Unternehmen erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können. Hinzu kommen die Fälle, in denen unrichtige Erklärungen nicht berichtigt werden. Eine Entscheidung der Frage, ob Nr. 1 durch garantenpflichtwidriges Unterlassen verwirklicht wird, erübrigt sich freilich dann, wenn der Täter ohnehin nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verpflichtet ist, der FinB steuerlich erhebliche Tatsachen mitzuteilen. Sind etwa der FinB gegenüber versehentlich unrichtige Angaben gemacht worden, ist es müßig, über eine Berichtigungspflicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB (Ingerenz) zu streiten, da dann nach § 153 Abs. 1 AO ohnehin eine Pflicht i.S.d. Nr. 2 besteht.
Rz. 224
Der BGH hat die Frage für die Verantwortung eines Steuerberaters nicht grundlegend entschieden, ist aber eher zurückhaltend, über die steuerrechtlichen Pflichten hinausgehende Garantenpflichten anzunehmen (s. Rz. 225). Eine aus § 13 StGB abgeleitete Handlungspflicht im Fall einer Beihilfe durch Unterlassen zum Begehungstatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird jedoch grundsätzlich für denkbar gehalten. Eine Literaturansicht schließt einen Rückgriff auf allgemeine Garantenpflichten ebenfalls nicht aus. Nach Auffassung des 1. Strafsenats können sich Erklärungspflichten über die gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten hinaus auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die allerdings eine untergeordnete Rolle spielten. Nach zutr. Auffassung des BGH folgt aus der Beteiligung an einem Bestechungsdelikt jedenfalls nicht, dass der Beteiligte die steuerlichen Pflichten des Bestechenden zu erfüllen hat und dafür verantwortlich ist, dass der nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG untersagte Betriebsausgabenabzug unterbleibt oder erschwert wird.
Rz. 225
Für die gerade genannte Ansicht spricht, dass nach § 369 Abs. 2 AO für das Steuerstrafrecht die allgemeinen Regeln des Strafrechts gelten (s. § 369 Rz. 80 f.) und somit auch § 13 Abs. 1 StGB (s. Rz. 221). Es kann aber nicht richtig sein, Begrenzungen, die sich aus den spezifisch geregelten steuerrechtlichen Offenbarungspflichten ergeben, über die Anwendung der allgemeinen Regeln des § 13 StGB zu umgehen. Sofern Angabepflichten steuerrechtlich aufgestellt werde...