Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
aa) Voraussetzungen der Berichtigungspflicht nach § 153 AO
Rz. 1715
Gesehen werden muss, dass Mandanten, die sich zunächst nicht strafrechtlich relevant verhalten haben, weil sie z.B. nicht vorsätzlich Steuern hinterzogen haben, nachträglich in eine Strafbarkeit wegen Verletzung von § 153 AO "hineinwachsen" können (s. Rz. 334 sowie 1517.4). Nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO entsteht eine Korrekturpflicht, wenn (vereinfacht) folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
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1. unrichtige oder unvollständige Steuererklärung des Stpfl., |
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2. daraus resultierende Steuerverkürzung, |
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3. nachträgliches Erkennen (positive Kenntnis) von 1. und 2. und |
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4. Nichtablauf der Festsetzungsfrist für die fehlerhafte Veranlagung. |
bb) Rechtsfolge steuerrechtlich
Rz. 1716
Rechtsfolge des § 153 AO ist das Vorliegen einer Anzeige- und einer Berichtigungspflicht. Der Stpfl. (oder sein Rechtsnachfolger) hat (steuerrechtlich) unverzüglich anzuzeigen (1. Stufe), dass eine unrichtige Erklärung abgegeben worden ist. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 BGB) alsbald nach Erkennen des Mangels. Die zur Verfügung stehende Zeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, ob die Korrektur des Fehlers komplizierte Berechnungen erfordert oder ob die einfache Mitteilung einer einzelnen Tatsache genügt. Vor dem Hintergrund der schwierigen Bestimmung der Unverzüglichkeit im Einzelfall, der inzwischen deutlich verschärften Anforderungen an eine Selbstanzeige nach § 371 AO und der damit verbundenen Notwendigkeit, eine Berichtigungserklärung so abzufassen, dass diese auch den strengen Anforderungen an eine Selbstanzeige genügt, ist der Begriff der Unverzüglichkeit m.E. sehr großzügig auszulegen. Das muss insbesondere für Auslandssachverhalte gelten. Teilweise wird vertreten, dass die Obergrenze eine Frist von zwei Wochen sei. Andere sind der Meinung, dass mindestens eine Frist von vier Wochen einzuräumen sei. Radermacher gewährt in den sog. Bankenfällen mit Auslandsbezug – m.E. zutreffend – eine Reaktionsfrist von drei Monaten (analog zu § 30 ErbStG). Der Stpfl. muss ferner – ohne, dass das Gesetz dafür eine Frist bestimmt – eine Berichtigungserklärung abgeben (2. Stufe). Diese zweistufige Auslegung des § 153 AO entspricht der h.M., ist jedoch nicht unbestritten. In seinem Anwendungserlass vom 23.5.2016 führt das BMF zunächst aus, dass sowohl Anzeige als auch Berichtigung unverzüglich erfolgen müssen. Anschließend erläutert das BMF unklar, dass "ggf." eine weitere Frist für die Berichtigung gewährt werden könne. Es besteht daher weiterhin Rechtsunsicherheit.
cc) Strafrechtliche Konsequenzen
Rz. 1717
Wenn der Stpfl. (oder sein Rechtsnachfolger) seiner Verpflichtung nach § 153 AO nicht nachkommt, so begeht er – einen entsprechenden Vorsatz unterstellt – nach ganz h.M. (Ransiek oben Rz. 350) eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Teilweise wird eine Strafbarkeit dagegen verneint. Die Vertreter der Mindermeinung begründen ihre Ansicht damit, dass die unterlassene Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO nicht kausal für die Steuerhinterziehung sei. Die Steuer sei bereits (durch den Erblasser) verkürzt, die Verletzung der Berichtigungspflicht stabilisiere diesen Zustand lediglich. Der BFH hat diese Frage bislang offengelassen. Das Vorliegen einer Unterlassungstat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 153 Abs. 1 AO unterstellt, würde – wie oben ausgeführt – mit dem Zeitpunkt, in dem bei hypothetisch pflichtgemäßem Handeln die korrigierten bzw. geänderten Einkommensteuerbescheide ergangen wären, der Lauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist beginnen. Wird ein Zeitraum von drei Monaten für die Erstattung der Anzeige (1. Stufe) und ein weiterer Zeitraum von zwei Monaten zur Berichtigung der Angaben (2. Stufe) angenommen und eine anschließende Bearbeitungszeit im FA von einem Monat unterstellt, dürfte zutreffenderweise ca. sechs Monate nach Kenntniserlangung die Verfolgungsverjährung zu laufen beginnen.