Rz. 673
Wie bereits in Rz. 168 ff., ausgeführt wurde, ist die verspätete Abgabe von Steueranmeldungen oder Jahressteuererklärungen als Berichtigungserklärung i.S.d. § 371 Abs. 1 AO zu werten. Fraglich ist dabei, ob die strafbefreiende Wirkung durch Tatentdeckung ausgeschlossen ist, weil wegen der Listenführung bei der FinB regelmäßig Kenntnis von der verspäteten Abgabe anzunehmen ist. Das OLG Hamburg (im nachst. Beispiel) hat diese Frage mit Recht verneint.
Beispiel 57
A war seit 1961 als selbständiger Architekt tätig. Er hatte sich der Umsatzsteuer- und Einkommensteuerhinterziehung schuldig gemacht, indem er trotz vielfacher Mahnungen seitens der FinB entweder keine oder nur mit erheblicher Verspätung Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuer- und Einkommensteuerjahreserklärungen abgab.
Die Frage, ob im Zeitpunkt der – als Selbstanzeige gewerteten – Nachholung der versäumten Steuererklärungen die Tat bereits entdeckt war, hat das OLG Hamburg mit folgender Begründung verneint:
"Zwar war dem Finanzamt nach dem jeweiligen fruchtlosen Ablauf der Erklärungsfrist aus den Steuerakten des Angeklagten ersichtlich, dass der Angeklagte seine Erklärungspflicht verletzt hatte. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Tat des Angeklagten im Sinne des § 395 AO (heute § 371) entdeckt war [...]. Andernfalls würde gerade im mildesten Fall der Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe von Steuererklärungen dem Täter eine Vergünstigung verschlossen, die ihm in schwereren Fällen bei Abgabe von falschen Steuererklärungen zugutekommen kann. Eine solche enge Auslegung des § 395 AO würde dem fiskalischen Zweck dieser Bestimmung nicht gerecht werden [...]. Allerdings wird man dem Beschwerdeführer nicht darin beipflichten können, daß das Merkmal der Entdeckung im Sinne des § 395 AO erst dann erfüllt sei, wenn das Finanzamt die Höhe der hinterzogenen Steuerschuld kennt. Auch wenn das Finanzamt bereits sichere Kenntnis von dem Vorliegen einer Steuerhinterziehung hat und lediglich die Höhe der hinterzogenen Steuer noch unbekannt ist, liegt eine Entdeckung der Tat nach § 395 AO vor. Wenn die Steuerbehörde so viel erfahren hat, daß sie bei pflichtgemäßem Verhalten die Strafverfolgung in Gang setzt, ist die Tat entdeckt [...]. Grundsätzlich ist von einem pflichtgemäßen Verhalten des Finanzamts auszugehen. Löst der nicht rechtzeitige Eingang einer Steuererklärung nicht die Einleitung eines Strafverfahrens aus, so waren dem Finanzamt noch nicht genügend Umstände bekannt und die Tat im Sinne des § 395 AO deshalb noch nicht entdeckt."
Rz. 674
Der Entscheidung ist, was die hier interessierende Frage anbelangt, beizupflichten. Den Ausführungen zum Tatverdacht kann jedoch aus den in Rz. 635 f. dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. Aus der Kenntniserlangung von der Säumnis des Steuerschuldners kann nicht auf eine Tatentdeckung rückgeschlossen werden. Weder steht in objektiver Hinsicht eine Steuerverkürzung fest (etwa weil gar keine steuerpflichtigen Umsätze in dem Voranmeldungszeitraum erzielt wurden) noch kann in subjektiver Hinsicht auf einen Verkürzungsvorsatz geschlossen werden. Der Umstand, dass Steuererklärungen nicht oder nicht pünktlich abgegeben worden sind, kann verschiedene, auch steuerstrafrechtlich irrelevante Gründe haben. Das Versäumnis kann auch unverschuldet sein oder auf Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit beruhen.
Rz. 675
Die mit Wirkung zum 1.1.2015 neu eingeführte Vorschrift des § 371 Abs. 2a Satz 2 AO, die eine Ausnahme vom Sperrgrund der Tatentdeckung gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vorsieht, greift in dem Fall der verspäteten Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nicht. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift gilt die Ausnahme von § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nur für den Fall, dass "die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde". In dem Beispielsfall ist Anknüpfungspunkt für die Tatentdeckung jedoch bereits der fruchtlose Ablauf der Erklärungsfrist.