Rz. 578
Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO führt die Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens in dem Augenblick zum Verlust des Selbstanzeigerechts, in dem sie gegenüber dem "an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter" erklärt wird.
a) "An der Tat Beteiligter"
aa) Begriff
Rz. 579
Indem mit Wirkung zum 1.1.2015 der Begriff "Täter" durch den des "an der Tat Beteiligten" ersetzt wurde, ist endgültig auch im Gesetzeswortlaut klargestellt, dass der Sperrgrund neben Tätern auch für Teilnehmer (Gehilfen, Anstifter) einer Steuerhinterziehung gilt. Bislang wurde dies – entgegen dem Wortlaut – aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift hergeleitet.
Die Sperrwirkung erstreckt sich nur auf den Tatbeteiligten, gegen den das Verfahren eingeleitet und dem dies mitgeteilt wird. Die Wirkung erfasst also nicht Dritte, die in die Bekanntgabe nicht einbezogen sind.
Rz. 580
Für die Sperrwirkung ist es unbeachtlich, ob die nachfolgenden Ermittlungen bei dem Tatverdächtigen eine andere Beteiligungsform ergeben als die in der Bekanntgabe zunächst mitgeteilte.
Beispiel
In dem Durchsuchungsbeschluss, mit dem die Steufa bei Steuerberater S erscheint, wird S als Gehilfe einer Steuerhinterziehung seines Mandanten beschuldigt. Die Ermittlungen ergeben jedoch eine mittäterschaftliche Beteiligung des S. Nach Bekanntgabe des Durchsuchungsbeschlusses kann S nicht mehr mit strafbefreiender Wirkung Selbstanzeige bzgl. der in Mittäterschaft begangenen Steuerhinterziehung erstatten (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO).
Rz. 581
Dagegen tritt die Sperrwirkung nicht ein bei Bekanntgabe gegenüber einem vermeintlich unbeteiligten Vertreter i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO.
Beispiel
Die Steuerfahnder treffen den Beschuldigten S nicht zu Hause an und eröffnen wegen Gefahr in Verzug daher die Durchsuchungsanordnung seiner Ehefrau F (F ist "Vertreterin" i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO, s. Rz. 599). F gesteht daraufhin ein, gemeinsam mit ihrem Mann S die Steuerhinterziehung begangen zu haben.
Die Selbstanzeige der F ist nicht nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO ausgeschlossen.
bb) Konkretisierung des betroffenen Personenkreises
Rz. 582
Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO wird nur dem Beschuldigten gegenüber ausgelöst, dem die Maßnahme persönlich eröffnet wird.
Bei Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen sind das diejenigen Personen, denen der Beschluss unmittelbar ausgehändigt wird. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Maßnahmen, z.B. der Durchsuchungsbeschluss, schon keine hinreichend konkrete Tatbeschreibung enthalten (s. nachst. Rz. 583 ff.). Eine derart pauschale Mitteilung der Verfahrenseinleitung kann bereits objektiv niemanden "ins Bild setzen", also auch denjenigen nicht, dem sie unmittelbar gemacht wird.
Rz. 583
Eine unmittelbare Aushändigung bewirkt aber auch in subjektiver Hinsicht keine Bekanntgabe i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO, wenn der Personenkreis nicht hinreichend konkretisiert ist.
Häufig werden z.B. Durchsuchungsbeschlüsse als Einleitungsmaßnahme "gegen die Verantwortlichen der Firma X und andere" gerichtet, ohne dass dieser Personenkreis in der Begründung näher bestimmt wird oder die Namen von Beschuldigten bis zu diesem Zeitpunkt in den Ermittlungsakten auftauchen.
Der Begriff der "Verantwortlichkeit" ist mehrdeutig und zur Bestimmbarkeit einer Person bzw. eines Personenkreises ungeeignet. Einmal ist bereits unklar, ob der Begriff zivil- oder strafrechtlich zu verstehen ist. Stützt sich der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, was in der Praxis der Regelfall ist, auf § 103 StPO, dann kann der Begriff der "Verantwortlichkeit" kaum strafrechtlich verstanden werden, denn allein durch den Umstand, dass der Beschluss auf § 103 StPO gestützt ist, soll gerade zum Ausdruck gebracht werden, dass beim Unverdächtigen, also bei dem strafrechtlich gerade Nicht-Verantwortlichen, durchsucht werden soll. Damit bleibt also lediglich die Möglichkeit, den Begriff der "Verantwortung" zivilrechtlich aufzufassen. Aber selbst dort ist er mehrdeutig. Nimmt man die naheliegendste Möglichkeit, dann soll die Verwendung des Begriffs in den genannten Durchsuchungsbeschlüssen in der Praxis wohl als Sammelbezeichnung für Vertretungs- und/oder Geschäftsführungs- bzw. Entscheidungsbefugnisse dienen. Eine Sammelbezeichnung der beschriebenen Art ist dem Zivilrecht jedoch fremd. Dort wird nämlich begrifflich stets klar zwischen Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis bzw. spezieller Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Teilhabe an Beschlüssen differenziert (vgl. etwa die §§ 114 ff., § 125...