aa) Ansicht des BGH
Rz. 149
Nach überwiegender Auffassung zu § 371 AO a.F. (i.d.F. vor 2011) konnte eine Berichtigungserklärung auch aus mehreren, zeitlich auseinanderliegenden Erklärungen bestehen, die erst als Einheit die Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO a.F. erfüllten, sog. "gestufte Selbstanzeige".
Beispiel 18
A und B hatten 1947–1950 Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuer-Einnahmen verkürzt. Am 25.9.1950 gibt A gegenüber der FinB die "knappe" und vom BGH für sich allein als unzulänglich bewertete Erklärung ab, dass er tätige Reue übe. Am 3.11.1950 vervollständigt der Steuerberater des A dessen Erklärung mit ausführlichen Angaben. Der BGH würdigte beide Erklärungen als rechtliche Einheit, die möglicherweise als Selbstanzeige anzuerkennen sei.
Rz. 150
Dieser Betrachtungsweise hat der 1. Strafsenat des BGH zwischenzeitlich eine klare Absage erteilt. So ist eine gestufte Selbstanzeige unwirksam, wenn nicht schon vorab konkret geschätzte Beträge erklärt werden (s. zur Schätzung Rz. 220 ff., 253 ff.). An dieser grundlegenden Beurteilung hat sich durch die Neufassung des § 371 AO nichts geändert. Im Rahmen eines obiter dictum hat der BGH zur gestuften Selbstanzeige ausgeführt:
"Der Senat ist im Übrigen der Ansicht, dass mit einer ‚gestuften Selbstanzeige‘ die Sperrwirkung nicht umgangen werden kann. Soweit dem Stpfl. aufgrund unzureichender Buchhaltung oder wegen fehlender Belege eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht möglich ist, ist er nach Auffassung des Senats gehalten, von Anfang an – also bereits auf der ersten Stufe der Selbstanzeige – alle erforderlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen, notfalls auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen, zu berichtigen, zu ergänzen oder nachzuholen."
Aufgrund dieser BGH-Rspr. ist dringend von einer gestuften Selbstanzeige abzuraten.
bb) Frühere Ansicht
Rz. 151
Nach der früher herrschenden Ansicht zu § 371 AO a.F. sicherte die erste Teilerklärung dem Anzeigenden Straffreiheit, wenn zwischen ihr und der späteren Erklärung ein Ausschlussgrund eintrat.
Rz. 152
Für die Anerkennung einer gestuften Selbstanzeige wurde angeführt, dass es insb. in Fällen, in denen die Tat mehrere Jahre zurückliegt, für den selbstanzeigewilligen Steuersünder schwierig, wenn nicht gar unmöglich sei, sofort mit den Zahlenangaben aufzuwarten, die eine Berichtigungserklärung i.S.d. § 371 Abs. 1 AO erfordert. Daraus wurde geschlossen, dass es in derartigen Fällen durchaus mit dem Sinn und Zweck des § 371 Abs. 1 AO a.F. vereinbar sei, dass der Täter der FinB den Tatbestand, den er berichtigen will, zunächst in Grundzügen mitteilt und zugleich um eine angemessene Frist zur Nachholung der genauen Zahlenangaben nachsucht. Ergänzte und präzisierte der Täter seine erste Teilerklärung in der gebotenen Weise, so waren die verschiedenen Teilerklärungen als einheitliche wirksame Selbstanzeige zu werten. Diese Auslegung wurde der Anreizfunktion des § 371 AO gerecht.
Rz. 153
In der Verwaltungspraxis war die Erstattung von Selbstanzeigen in mehreren Erklärungen oder Handlungen bis zur Entscheidung des BGH vom 20.5.2010 weitgehend anerkannt. Die AStBV (St) sahen hingegen bereits seit 2004 nicht mehr vor, dem Erstatter einer Selbstanzeige Gelegenheit zu geben, diese zu vervollständigen. Der Stpfl. kann aber durch eine Schätzung vermeiden, lediglich eine Selbstanzeige dem Grunde nach zu erstatten und dabei nur anzukündigen, die ausstehenden Zahlen nachzuliefern. Die Selbstanzeige ist daher zwingend mit einer Schätzung zu unterlegen, soweit die Zahlen noch nicht verfügbar sind. Eine spätere Korrektur der zu hohen Schätzung ist unproblematisch möglich (s. das Muster einer "Selbstanzeige in Stufen" in Rz. 873). Für den Stpfl. kann dies jedoch zu Liquiditätsproblemen führen, da die Finanzverwaltung verstärkt dazu übergegangen ist, vorläufige Bescheide auf der Basis der geschätzten (zu hohen) Erträgnisse zu erlassen (s. Rz. 220 ff.). Die Frage, ob eine Selbstanzeige auf Schätzungsbasis Straffreiheit verschafft, wenn zwischen der ersten geschätzten Erklärung und der zweiten Erklärung nach der konkreten Aufarbeitung der Besteuerungsgrundlagen ein Sperrgrund eintritt, stellt sich nicht, da bereits die erste Erklärung alle Anforderungen nach § 371 AO erfüllt. Zu Recht wendet Rolletschke insoweit jedoch ein, dass ein solches Vorgehen einer zwingend überhöhten Schätzung bereits im ersten Akt eine sinnw...