Rz. 648

[Autor/Stand] Mit der sich aus der Entdeckung seiner Tat ergebenden Gefahr der Strafverfolgung braucht der Täter nur zu rechnen, wenn sich der "Entdecker" des strafrechtlichen Gehalts des von ihm wahrgenommenen Sachverhalts bewusst wird. Denn nur dann kann von ihm erwartet werden, dass er über die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgungsmaßnahmen Überlegungen anstellt und solche veranlasst.

 

Beispiel

X betreibt eine Firma mit zehn Angestellten, ohne der FinB hiervon Kenntnis zu geben. Nachbar Y, der als Rentner viel Zeit hat, beobachtet Tag für Tag den Geschäftsbetrieb der Firma X und weiß über dessen Umfang bestens Bescheid. Was ihm unbekannt bleibt, ist die Tatsache, dass X keine Steuern zahlt. Seine "Entdeckungen" sind für X völlig ungefährlich.

Es widerspräche dem Grundgedanken und dem Wortlaut ("eine der Steuerstraftaten") des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn dem Täter auch in solchen für ihn völlig gefahrlosen Situationen die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO versagt würde[2]. Von einer Entdeckung im Sinne dieser Bestimmung kann deshalb nur dann gesprochen werden, wenn zugleich die strafrechtliche Bedeutung des festgestellten Sachverhalts in ihrem wesentlichen Kern erkannt wird[3].

 

Rz. 649

[Autor/Stand] Nicht nur die Wahrnehmung des äußeren Tatgeschehens reicht für die Entdeckung aus[5], sondern der objektiv festgestellte Sachverhalt muss richtigerweise den Rückschluss auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung, d.h. auf eine vorsätzliche Tatbegehung, zulassen[6]. Entgegen seiner bisherigen Rspr. erachtet es der BGH für die Tatentdeckung nunmehr aber nicht mehr als erforderlich, dass bereits ein Rückschluss auf vorsätzliches Handeln gezogen werden kann[7]. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei besagter Norm, soweit er auf die Entdeckung der Tat abstellt, lediglich die vorsätzliche Steuerstraftat im Blick hatte[8]. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen, da sich gerade in Steuersachen erst bei der subjektiven Tatseite zeigt, ob ein Verhalten strafrechtlich relevant oder lediglich als eine Pflichtverletzung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens anzusehen ist, die keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht. Insbesondere kann nicht bei jeder Nacherklärung von Besteuerungsgrundlagen eine Selbstanzeige und damit eine Steuerhinterziehung bzw. leichtfertige Steuerverkürzung angenommen werden[9].

 

Beispiel 33

Finanzbeamtin B ersieht aus den Steuerakten der X-GmbH, dass fällige Umsatzsteuervoranmeldungen nicht fristgerecht abgegeben worden sind. Nach zweimaliger erfolgloser Erinnerung ergeht ein Schätzungsbescheid.

Die Frage, ob dadurch bereits die Umsatzsteuerhinterziehungen durch unterbliebene Umsatzsteuervoranmeldungen "entdeckt" i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO seien, verneinte das OLG Celle mit folgender Begründung:

Zur Entdeckung der Tat bedürfe es konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Unternehmer selbst vorsätzlich gehandelt haben könnte. Da das UStG nicht bestimme, dass der Stpfl. die Voranmeldung eigenhändig zu unterschreiben hat (vgl. § 150 AO), sei nicht auszuschließen, dass der Unternehmer sich Erfüllungsgehilfen bediene, die die entsprechenden Arbeiten für Voranmeldungen leisten und die kraft interner Abmachung die Steueranmeldung selbst (d.h. für den Unternehmer) abgeben. Für die Frage der "Entdeckung" sei von entscheidender Bedeutung, ob die Finanzbeamtin in ihre Vorstellung aufgenommen hatte, dass der Angeklagte als für die Steuerabwicklung Verantwortlicher vorsätzlich gehandelt hatte. Denkbar sei immerhin, dass im vorliegenden Fall jedenfalls die Steuerbeamtin von einer bloßen Säumigkeit eines untergeordneten Buchhalters ausging; zu dieser Annahme gebe im Urteilsfall jedenfalls die – sonst unverständliche, den Schätzungen beigefügte – Erläuterung über die angeblich noch zu erlangende Straffreiheit Anlass.

 

Rz. 650

[Autor/Stand] Sprechen die zur Kenntnis genommenen Umstände nur für eine leichtfertige Steuerverkürzung, kann dies die Möglichkeit der Selbstanzeige gem. § 371 AO nicht ausschließen, weil § 378 AO insoweit lex specialis ist und die Selbstanzeigemöglichkeit des § 378 Abs. 3 AO den Ausschlussgrund der Tatentdeckung nicht vorsieht (s. § 378 Rz. 125)[11].

 

Rz. 651

[Autor/Stand] Auch bei der Wahrnehmung zur subjektiven Tatseite muss beachtet werden, dass "entdeckt"mehr bedeutet als nur in Verdacht geraten (s. Rz. 635 ff.). Die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses kann naturgemäß nur dann angenommen werden, wenn nicht nur die objektiven, sondern auch die subjektiven Merkmale, d.h. das Verhalten des Täters, eine solche Bewertung gestatten.

[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[2] Vgl. Franzen, NJW 1964, 1061 ff.
[3] Vgl. RG v. 28.5.1937 – 1 D 357/37, RGSt 71, 242 (243); OLG Celle v. 24.1.1984 – 1 Ss 367/83, wistra 1984, 116.
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.07.2021
[5] So aber OLG Celle v. 5.11.1970 – 1 Ss 152/70, DB 1971, 706; differenzierend Kemper in Rolletsch...

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