Rz. 841
Der Tatbestand des § 371 Abs. 4 AO setzt im Einzelnen Folgendes voraus:
1. Berichtigungspflicht gem. § 153 AO
Rz. 842
Es muss eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO (s. Rz. 836) entstanden und durch rechtzeitige und ordnungsgemäße Erstattung der in § 153 AO vorgesehenen Anzeige von einem Anzeigepflichtigen erfüllt worden sein.
Rz. 843
Wegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 AO wird auf die Kommentierungen zu dieser Bestimmung und auf die Erl. in § 370 Rz. 334 ff. verwiesen. Der Anzeigeerstatter muss Anzeigepflichtiger i.S.d. § 153 AO sein (s. § 370 Rz. 344 ff.).
Rz. 844
Abzugrenzen ist die Fremdanzeige gem. § 371 Abs. 4 AO damit von der vertretungsweise für den Stpfl. abgegebenen Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO (s. vorst. Rz. 84 ff. und nachst. Rz. 852 ff.) sowie von der (Straf-)Anzeige eines außenstehenden Dritten bei der FinB betr. die Steuerverfehlung eines anderen (vgl. § 158 StPO).
Rz. 845
§ 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO knüpft ausschließlich an die Abgabe unrichtiger steuerlicher Erklärungen an, während für den Fall der pflichtwidrig unterlassenen Steuererklärung keine Anzeigepflicht besteht. Das mag seine Ursache darin haben, dass der Gesetzgeber von einem Fortbestehen der ursprünglichen Erklärungspflicht ausgeht (vgl. auch § 149 Abs. 1 Satz 4 AO). Damit findet auch § 371 Abs. 4 AO jedenfalls keine unmittelbare Anwendung auf eine Fremdanzeige, durch die die Unterlassung einer Steuererklärung eines anderen "aufgedeckt" wird.
Beispiel
Buchhalter B der X-GmbH des Unternehmers U erkennt nachträglich, dass U keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben hat, und holt dies dem FA gegenüber nach.
Wie Samson zutreffend ausführt, lässt sich diese vom Gesetzgeber wohl unbedachte Diskongruenz des Verfolgungshindernisses für Steuerhinterziehungen durch Handeln und Unterlassen gerade auch vor dem Hintergrund des fiskalischen Zwecks der Vorschrift nicht rechtfertigen. Diese Regelungslücke kann nur durch eine analoge Anwendung des § 371 Abs. 4 AO bei Steuerhinterziehungen durch Unterlassen geschlossen werden, wenn man entgegen der überwiegenden Auffassung – wie vorst. in Rz. 87 ff. dargelegt – eine verdeckte Stellvertretung bei der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO nicht anerkennt.
2. Anzeige
Rz. 846
§ 371 Abs. 4 AO erklärt ausdrücklich, dass die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß zu erstatten ist. Ein Bezug auf die in § 153 AO zusätzlich geforderte Richtigstellung ("unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen") fehlt, so dass nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und dem gesetzgeberischen Zweck außer der unverzüglichen Erstattung der Anzeige mit Hinweis auf die Unrichtigkeit, Unvollständigkeit oder Unterlassung der betreffenden Erklärung die inhaltliche Richtigstellung (entsprechend § 371 Abs. 1 AO) nicht gefordert wird, zu der der Anzeigeerstatter zumeist auch aufgrund mangelnder Kenntnisse gar nicht in der Lage sein wird.
a) Rechtzeitig
Rz. 847
Rechtzeitig ist die Erklärung dann erstattet, wenn sie unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, abgegeben worden ist. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem der Anzeigepflichtige positiv erkannt hat, dass der ursprüngliche Stpfl. keine oder unvollständige oder unrichtige Erklärungen abgegeben hat. Der Anzeigepflichtige, der nicht rechtzeitig Anzeige erstattet, macht sich der (versuchten oder vollendeten) Steuerhinterziehung durch Unterlassen schuldig, so dass er persönlich nur bei einer Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO straffrei bleibt.
b) Ordnungsgemäß
Rz. 848
Die Anzeige ist ordnungsgemäß abgegeben, wenn sie gegenüber der FinB erfolgt, die der Anzeigende für zuständig halten durfte. Sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen und es genügt die Angabe der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der steuerlichen Erklärung nach dem Kenntnisstand des Anzeigenden, durch die die FinB in die Lage versetzt wird, nähere Nachforschungen zur Aufklärung anzustellen. Eine weitergehende inhaltliche Richtigstellung (etwa durch exakte Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen) ist nicht zu verlangen.