Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 97
Das Verhältnis zwischen Bannbruch (§ 372 AO) und Straftaten gegen die Verbringungsgesetze lässt sich in keine herkömmliche Kategorie der Konkurrenzen einordnen. Die Tatbestände werden durch eine Handlung verwirklicht, ohne dass Tateinheit (§ 52 StGB) gegeben wäre. Auch Spezialität, Konsumtion oder Subsidiarität liegt nicht vor. Die Verbringungsverstöße bleiben unberührt, werden von § 372 Abs. 1 AO in sich aufgenommen und ihnen quasi "das Siegel des Bannbruchs aufgeprägt". Die Verbringungsvergehen werden vom Bannbruchtatbestand "ummantelt". Beide Gesetze finden in eigenartiger Weise nebeneinander Anwendung. Subsidiär ist allein die Strafdrohung aus § 370 Abs. 1 und 2 AO (§ 372 Abs. 2 AO, s. Rz. 88 ff.).
Rz. 98
Zwischen Bannbruch und Steuerhinterziehung gem. § 370 AO besteht bei verbotswidriger Einfuhr aus einem Drittland regelmäßig Tateinheit i.S.d. § 52 StGB, wenn bei der Einfuhr zugleich Einfuhrabgaben (Zoll, Verbrauchsteuer oder Einfuhrumsatzsteuer) hinterzogen werden. § 370 Abs. 5 AO stellt klar, dass Steuerhinterziehung auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden kann, deren Ein-, Aus- oder Durchfuhr verboten ist (s. § 370 Rz. 537 ff.). Auch insoweit entsteht eine Zollschuld (Art. 83 Abs. 1 UZK). Ausnahmen bestehen jedoch für illegal eingeführte Betäubungsmittel und eingeschmuggeltes Falschgeld (Art. 83 Abs. 2 UZK, s. auch § 370 Rz. 538 f.). Das nationale Abgabenrecht (§§ 40, 370 Abs. 5 AO) wird insoweit überlagert durch vorrangiges europäisches Recht. Der Zollkodex der Europäischen Union folgt damit der Rspr. des EuGH (s. auch § 370 Rz. 1256).
Rz. 98.1
Die Subsidiaritätsklausel des § 372 Abs. 2 AO findet im Verhältnis zu § 370 AO keine Anwendung (s. Rz. 88.1).
Rz. 98.2
Im Verhältnis zum schweren Schmuggel (§ 373 AO) ist der Bannbruch nach § 372 Abs. 2 AO der Grundtatbestand (s. Rz. 89 sowie § 373 Rz. 30 ff.) und zur Steuerhehlerei nach § 374 AO eine taugliche Vortat (s. § 374 Rz. 22 ff.). Der Bannbruch ist auch eine taugliche rechtswidrige Vortat für das Anschlussdelikt der Geldwäsche (§ 261 StGB nF); allerdings nicht, wenn der Bannbruch nach § 372 Abs. 2 AO in Verbindung mit dem speziellen Gesetz lediglich mit Geldbuße geahndet wird. Denn in diesem Fall liegt keine rechtswidrige Tat i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB vor.
Rz. 98.3
Da bei Einfuhr abgabepflichtiger Waren von einem EU-Mitgliedstaat in den anderen die Verbrauchsteuer regelmäßig erst nach dem Verbringen im Inland entsteht (z.B. § 23 TabStG), kann nur ausnahmsweise tateinheitlich bei der Einfuhr selbst die Verbrauchsteuer verkürzt werden, wenn die Waren außerhalb des vorgeschriebenen Verfahrens ins Inland verbracht werden. Vgl. zur Rechtslage bei den Verbrauchsteuern § 381 Rz. 8 ff., 41.
Rz. 99
Tateinheit ist ferner möglich mit Urkundenfälschung (§ 267 StGB) bei Vorlage verfälschter Zollpapiere bei der Zollabfertigung. Tateinheitlich kann bei der Ausfuhr von Waren aus der EU in ein Drittland zwecks Umsatzsteuer- und Ausfuhrerstattungen mittelbare Falschbeurkundung gem. § 271 StGB durch Ausstellenlassen unrichtiger Zollpapiere und Transportdokumente begangen werden; bei Ausfuhr von der EU subventionierter Agrarerzeugnisse in ein Drittland sind dann auch die Tatbestände des Subventionsbetrugs (§ 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und der schweren mittelbaren Falschbeurkundung (§§ 272, 271 StGB) erfüllt. Tateinheit ist ebenso möglich mit Diebstahl, wenn der Schmuggel unmittelbar der Sicherstellung der Diebesbeute dient; unter Umständen auch mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB, z.B. Durchbrechen einer Straßensperre mit einem Kraftfahrzeug). Tateinheitlich kann der Bannbruch auch mit der Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen durch Bannware (§ 297 StGB) zusammentreffen. Bei organisiert begangener illegaler Verbringung kommt auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) infrage (s. dazu und auch zur Telefonüberwachung in diesen Fällen § 374 Rz. 127.2, 134 ff.). Dann muss aber zumindest ein Teil der Organisation ihren Sitz im Inland haben.
Rz. 100
Der Erwerb von Zigaretten ohne gültiges Steuerzeichen bis zu einer Menge von 1.000 Zigaretten zum Eigenverbrauch stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar (Schwarzhandel mit Zigaretten, § 37 TabStG; s. dazu eingehend § 377 Rz. 274 ff.). Dieser Tatbestand schließt die Anwendung von §§ 369–374 AO aus (Umkehrung des Grundsatzes aus § 21 Abs. 1 OWiG).
Rz. 101
Dagegen findet bei tateinheitlichem Zusammentreffen einer verbotenen Einfuhr gem. § 372 AO mit der fahrlässigen Gefährdung von Einfuhrabgaben gem. § 382 AO nur der Straftatbestand Anwendung (§ 21 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 377 Abs. 2 AO; s. auch § 382 Rz. 52).
Rz. 102
Beipiel
nach BGH: Das LG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Arzneimittel in Tateinheit mit vorsätzlic...