Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Erschwerungsgründe
Rz. 55
Wie bereits ausgeführt (s. Rz. 12), ist die gesetzliche Bezeichnung in der Überschrift des § 373 AO insoweit missverständlich, als sie die Fälle des Abs. 2 Nr. 1 und 2 unter den Oberbegriff des "gewaltsamen" Schmuggels zusammenfasst. Die beiden in § 373 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AO normierten Erschwerungsgründe entsprechen einander in ihrer Grundstruktur. Hinsichtlich der Tatmittel ist jedoch der objektive Tatbestand in Nr. 2 gegenüber Nr. 1 ausgeweitet, da hier sämtliche Waffen (außer Schusswaffen) sowie sonstige Werkzeuge und Mittel erfasst werden. Dagegen ist der subjektive Tatbestand in Nr. 2 enger gefasst, da der Täter hier gehandelt haben muss, "um den Widerstand eines anderen mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden", während in Nr. 1 allein das Beisichführen einer Schusswaffe mit höherer Strafe bedroht wird, selbst wenn der Täter nicht den Vorsatz hatte, bei der Tat von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
2. Schmuggel mit Schusswaffen (§ 373 Abs. 2 Nr. 1 AO)
a) "Schusswaffe"
Rz. 56
Es gilt der strafrechtliche Waffenbegriff wie der der §§ 244, 250 StGB, der grundsätzlich enger zu bestimmen ist als der allgemeine formale Begriff nach dem Waffengesetz (vgl. dazu § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG i.V.m. Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Ziff. 1.1).
Schusswaffen sind alle Geräte, die zum Angriff, zur Verteidigung, zum Sport, Spiel oder zur Jagd bestimmt sind und bei denen Geschosse durch einen Lauf nach vorne getrieben werden. Dies kann sowohl durch Explosivstoffe als auch auf andere Weise, z.B. durch Luftdruck (Luftpistolen und Luftgewehre), geschehen. Das gilt nicht nur für Feuer-, sondern auch für Schreckschuss- und Reizstoffwaffen i.S.d. Waffengesetzes. Somit sind auch die geladene Schreckschusspistole und die geladene Gaspistole (str.) als Schusswaffen anzusehen, jedenfalls wenn die Waffe nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Dies ist bei Schreckschusswaffen nicht selbstverständlich.
Rz. 57
Die Schusswaffe muss funktionstüchtig und konkret einsetzbar sein. Das ist bei einer ungeladenen Pistole nicht der Fall, es sei denn, die Munition ist jederzeit griffbereit. Eine defekte oder eine gesicherte Waffe, deren Schutzmechanismus nicht überwunden werden kann, zählt ebenso wenig dazu wie eine Attrappe. Es reicht auch nicht aus, dass eine ungeladene oder defekte Waffe als Drohinstrument verwendet werden kann; sie sind dann mangels Eignung keine Waffe, sondern ein sonstiges Mittel oder Werkzeug i.S.d. § 373 Abs. 2 Nr. 2 AO (s. Rz. 65 ff.). Wird sie als Schlagwerkzeug verwandt, kann sie zum Werkzeug i.S.d. § 373 Abs. 2 Nr. 2 AO werden.
Rz. 58
Im Gegensatz zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 und § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG vom 26.1.1998 wurde – systemwidrig – bei § 373 Abs. 1 Nr. 1 AO das Beisichführen einer Schusswaffe dem Beisichführen einer "anderen gefährlichen Werkzeugs" nicht gleichgestellt. Damit fällt das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs nicht unter diese Alternative.
Rz. 59
Einstweilen frei.
b) "Beisichführen"
Rz. 60
Der Täter oder ein anderer Beteiligter muss beim Schmuggel eine Schusswaffe bei sich führen. Dieser Begriff hat eine örtliche und eine zeitliche Komponente.
Rz. 61
In räumlicher Hinsicht reicht es für das Merkmal des "Beisichführens" aus, dass die Waffe dem Täter (oder einem anderen Beteiligten) "zur Verfügung steht", d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten, bedienen kann. Demnach braucht der Täter die Waffe nicht unmittelbar bei sich zu tragen; es genügt vielmehr, wenn er in der Lage ist, sie bspw. bei einer Annäherung Dritter jederzeit zu ergreifen und von ihr Gebrauch zu machen. Diese Voraussetzung hat der BGH bei einer Waffe, die sich in einem ca. 200 m vom Tatort abgestellten Fahrzeug befand, verneint
Steuerhinterziehung in der Form des gewaltsamen Schmuggels durch Beisichführen einer Schusswaffe gem. § 373 Abs. 2 Nr. 1 AO liegt vor, wenn sich bei Begehung der Tat eine Schusswaffe auf der zweiten Rückbank des vom Täter geführten Kleinbusses befindet, an die er bei einer Grenzkontrolle durch Öffnen der Seitentür gelangt.
Rz. 62
In zeitlicher Hinsicht setzt das Beisichführen nicht voraus, dass der Täter die Waffe während des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens bei sich führt. Es ist ausreichend, dass dem Täter die Waffen zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuch und Vollendung zur Verfügung standen.
Beispiel 19
Die Angeklagten entzogen gemeinschaftlich eine Lkw-Ladung unversteuerter und unverzollter Zigaret...