Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 121
Der 1. Strafsenat des BGH hat seine Rspr. zum Konkurrenzverhältnis zwischen Steuerhehlerei und tatmehrheitlich oder tateinheitlich begangener Tabaksteuerhinterziehung in jüngster Zeit grundlegend geändert (zur früheren Rspr. s. noch die Voraufl. m.w.N.). Die Entwicklung wird nachstehend dargestellt.
Rz. 122
Die Abgrenzung zwischen den Tatbeständen des Schmuggels (§ 373 AO), der Steuerhehlerei (§ 374 AO) und der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der Teilnahme an diesen ist insbesondere bei der illegalen Einfuhr von Zigaretten schwierig.
Entscheidend geht es dabei um die Auslegung des § 23 Abs. 1 TabStG (vormals § 19 Satz 3 TabStG a.F.). Zur Neufassung der Vorschrift durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verbrauchsteuern vom 15.7.2009 zum 1.4.2010 und zur Tabaksteuerhinterziehung s. § 370 Rz. 1548. Danach entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Staats in das deutsche Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt und erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden.
Rz. 122.1
Der EuGH legt den Begriff des Besitzes weit aus, so dass jeder gewerbliche Besitzer der Waren auch Steuerschuldner ist. Nach der Rspr. von BFH und EuGH trifft die Deklarierungspflicht des § 23 Abs. 1 TabStG n.F. auch Besitzer, die das Schmuggelgut (unverzollte und unversteuerte Zigaretten) erst nach dem "Zur-Ruhe-Kommen" in ihren Herrschaftsbereich übernommen haben (s. Rz. 1532.2).
Rz. 122.2
Der BGH hat das Verhältnis zwischen Steuerhehlerei und Verbrauchsteuerhinterziehung in jüngster Zeit neu bestimmt und dabei unterschiedliche Argumentationsansätze verwendet.
Mit Urteil vom 24.4.2019 entschied der 1. Strafsenat, dass sich derjenige, der erst nach Beendigung des Verbringungsvorgangs in den Besitz von Tabakwaren gelangt war, nicht wegen Hinterziehung von Tabaksteuer strafbar mache (s. dazu § 370 Rz. 1548.1). Der nach Beendigung des Verbringungsvorgangs begründete Besitz an unversteuerten Tabakwaren werde allein durch den Tatbestand der Steuerhehlerei erfasst. Eine auch strafrechtlich beachtliche Steuerschuldnerschaft und damit verbundene Erklärungspflicht über die Tabakwaren bei nahezu jedem Besitz würde den gerade zur Sanktionierung einer Aufrechterhaltung steuerrechtswidriger Besitzlagen geschaffenen Tatbestand der Steuerhehlerei weitgehend entwerten, weil kaum besitzlose Verschaffungs- oder Absatzvorgänge vorstellbar sind. Ein solches Auslegungsergebnis entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers, weil durch eine Entgrenzung des Tatbestands der Steuerhinterziehung hinsichtlich der an den Besitz anknüpfenden verbrauchsteuerlichen Erklärungspflichten für den Tatbestand der Steuerhehlerei mit seinem spezifischen Wertungssystem für steuerbare Gegenstände kein nennenswerter Anwendungsbereich verbliebe.
Rz. 122.3
In Fortführung seiner Rspr. hat der BGH mit Beschluss vom 23.5.2019 (zitiert in § 370 Rz. 310) allerdings noch auf einen anderen wesentlichen Aspekt abgestellt: Die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung nach § 23 TabStG ist unter dem Gesichtspunkt suspendiert, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder sonst zur eigenen Überführung beizutragen ("nemo tenetur se ipsum accusare").
Der Beschuldigte befindet sich insoweit in einer unauflösbaren Konfliktsituation. Mit Abgabe einer Tabaksteuererklärung würde der Empfänger der Tabakwaren unvermeidlich seine durch den Ankauf oder das Sich-Verschaffen der Tabakwaren vorangegangene Steuerhehlerei offenbaren. Dies führt zur Unzumutbarkeit, überhaupt Angaben zu machen.
Zur Bedeutung des Selbstbelastungsverbots s. auch § 370 Rz. 303 ff. sowie § 393 Rz. 106 ff.
Rz. 122.4
Gleichwohl zeigt der BGH auch die Grenzen dieser Suspendierung auf. Im steuerlichen Verfahren wirke die Pflicht zur Mitwirkung auch bei möglicher Selbstbelastung fort, nur die Anwendung von Zwangsmitteln nach § 328 AO sei verboten (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO, s. dazu § 393 Rz. 185 ff.). Zudem seien dem Erklärungspflichtigen keinerlei Rechte aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz zuzubilligen, wenn er die Strafverfolgung für bereits begangene Steuerhinterziehungen durch die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 AO vermeiden könne.
Rz. 122.5
Entfällt die Strafbewehrung der unterlassenen Erklärung der Tabaksteuer wegen der Gefahr der Selbstbelastung (s. Rz. 3), so kommt es gar nicht erst zu einem Konkurrenzverhältnis und die geänderte Sicht des Senats kann sich nicht auswirken.
Rz. 122.6
Im Urteil vom 11.7.2019 (s. dazu Beispiel in Rz. 72) stellte der Senat zudem darauf ab, dass (im Fall einer Kettenhehlerei mit der Beteiligung an der Tat eines Vormanns) kein zusätzliches Rechtsgut verletzt werde. Der eher formale Gesichtspunkt der Verkürzung eines in der eigenen Person des Steuerhehlers nach § 23 Abs. 1 Satz 1, 2 TabStG entstehenden Steueranspruchs hätte gegenüber der bereits...