Rz. 2

[Autor/Stand] § 375 AO normiert – unabhängig von der allgemeinen Anwendbarkeit des materiellen Strafrechts im Steuerstrafrecht gem. § 369 Abs. 2 AO – zwei Formen strafrechtlicher "Nebenfolgen": die Aberkennung der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit (§ 375 Abs. 1 AO) sowie die Einziehung (§ 375 Abs. 2 AO). Zum unterschiedlichen sachlichen Anwendungsbereich von § 375 Abs. 1 und Abs. 2 AO s. Rz. 11, 39.

 

Rz. 3

[Autor/Stand] Zweck des § 375 Abs. 1 AO ist es, bei Steuerstraftaten von erheblichem Gewicht die Wirkung der Hauptstrafe (Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr) dadurch zu verstärken, dass der Verurteilte für eine gewisse Zeit von öffentlichen Ämtern oder Rechtsstellungen ferngehalten wird, für deren Erlangung eine öffentliche Wahl Voraussetzung ist. Der praktische Nutzen der Regelung muss allerdings in Zweifel gezogen werden.[3]

 

Rz. 4

[Autor/Stand] Angesichts dieser Zielrichtung handelt es sich bei der Aberkennung der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit – trotz gegenteiliger Normüberschrift – nicht um eine Nebenfolge, sondern – ebenso wie bei dem damit übereinstimmenden § 45 StGB[5] – um eine Nebenstrafe.[6]

 

Rz. 5

[Autor/Stand] Die Rechtsnatur der Einziehung gem. § 375 Abs. 2 AO und § 74 StGB ist mehrdeutig zu sehen[8]:

Sie hat Strafcharakter, soweit sie Sachen des Täters oder Teilnehmers betrifft[9] (s. Rz. 61). Insoweit muss sie als Teil der Strafzumessung in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden.[10] Bei der Zumessung der Hauptstrafe wegen Steuerhinterziehung sowie bei seiner Ermessensentscheidung über eine danebentretende Einziehung hat der Richter also darauf zu achten, dass die gegen den davon Betroffenen verhängte Gesamtsanktion nicht das Maß der Schuld übertrifft, die durch die Steuerhinterziehung verwirklicht worden ist.[11]

Um eine reine Sicherungsmaßnahme handelt es sich bei der Einziehung aufgrund der Gefährlichkeit der Sache[12] (s. Rz. 67). Bei Einziehungen bei tatunbeteiligten Dritten (s. Rz. 68) hat die Maßnahme wiederum strafähnlichen Charakter, da sie zur Abschreckung der Allgemeinheit generalpräventiven Zwecken dient.[13]

 

Rz. 6

[Autor/Stand] Im Unterschied zu der Einziehung i.S.d. § 375 Abs. 2 AO (s. Rz. 5) ist die Einziehung von Taterträgen nach § 73 ff. StGB nach ganz überwiegender Auffassung des Gesetzgebers sowie der Rspr. keine Nebenstrafe, sondern eine quasi-kondiktionelle Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) ohne Strafcharakter, welche – wie vormals der Verfall – die Abschöpfung unrechtmäßig erlangten Vermögens bezweckt (streitig,[15] s. dazu auch § 375a Rz. 29; diff. Peters unten § 399 Rz. 333 m.w.N.). Damit braucht weder bei der Strafzumessung auf die zugleich angeordnete Einziehung Rücksicht genommen noch umgekehrt von der Einziehung mit Rücksicht auf eine zugleich verhängte Strafe abgesehen werden. Aufgrund des kondiktionsähnlichen Regelungscharakters der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das BVerfG die durch Art. 316h EGStGB angeordnete sog. "echte"Rückwirkung von Rechtsfolgen nicht an Art. 103 Abs. 2 GG, sondern lediglich an Art. 20 Abs. 3 GG gemessen und insoweit als "durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt" angesehen.[16]

Diese Sichtweise erscheint mit Blick auf des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB i.d.F. des JStG 2020 bedenklich, durch den der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen hat, die Einziehung selbständig anzuordnen, obwohl sowohl der Strafverfolgungsanspruch als auch der zugrunde liegende Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verjährt sein können (s. Rz. 81). Dadurch ist zukünftig selbst für Jahrzehnte zurückliegende Veranlagungszeiträume die Einziehung von sämtlichen Vorteilen oder Steuerersparnissen aus Steuerdelikten in bestimmten Fällen möglich[17] (s. § 375a Rz. 9 ff.; § 376 Rz. 50).

 

Rz. 7

[Autor/Stand] Über den allgemeinen Verweis in § 369 Abs. 2 AO auf die Vorschriften des materiellen Rechts muss § 375 AO im Zusammenhang mit den einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts gesehen werden, die wesentliche Anwendungsvoraussetzungen oder ergänzende Regelungen enthalten.

 

Rz. 7.1

[Autor/Stand] So ergibt sich für § 375 Abs. 1 AO aus den §§ 4545b StGB, wie lange (§ 45 Abs. 2 StGB), ab wann (§§ 45a, 45b StGB) und mit welcher Wirkung (§ 45 Abs. 3, 4 StGB) dem Verurteilten die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden oder Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, ab- oder wieder zuerkannt werden kann (s. näher Rz. 23 ff.).

 

Rz. 7.2

[Autor/Stand] § 375 Abs. 2 AO enthält eine Sonderregelung über die sachlichen Voraussetzungen für die Einziehung von bestimmten Gegenständen, insbesondere Schmuggelware und Beförderungsmitteln[21] (s. Rz. 32).

Im Übrigen, soweit diese bestimmten Gegenstände nicht betroffen sind, richtet sich die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB, die die Einziehung von Taterträgen/Wertersatz regeln (s. ausführlich § 370 Rz. 1130 ff., § 399 Rz. 335 ff.).

§ 375 Abs. 2 AO stellt zudem eine besondere gesetzliche Vorschrift i.S.v. § 74 Abs. 4 StGB dar.[22] Welche Bedeutung die §§ 74 ff. StGB (Einziehung von Tatprodukten, Tatmitte...

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