Rz. 6
Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Einführung des § 375a AO eine gegenüber zivilrechtlich-deliktischen Ansprüchen empfundene Schlechterstellung zu beheben; zivilrechtliche Ansprüche gehen bei Verjährung nicht wie Steueransprüche unter (§ 47 AO), sie werden nur einredebehaftet (§ 214 BGB).
Rz. 7
Da zivilrechtlich-deliktische Ansprüche mit der Verjährung nur einredebehaftet sind und nicht erlöschen, behandelt der BGH derartige Ansprüche bzw. die diesen gegenüberstehenden Vermögenszuwächse im Rahmen der Einziehung weiter als existent, führt die korrespondierenden Vermögenszuwächse also der Einziehung zu; § 73e StGB wird vom BGH auf zivilrechtlich verjährte Ansprüche nicht angewendet:
"Nach § 73e Abs. 1 StGB ist die Einziehung lediglich ausgeschlossen, soweit der dem Verletzten aus der (rechtswidrigen) Tat erwachsene zivilrechtliche Anspruch erloschen ist. Als Gründe hierfür sieht der Gesetzgeber etwa die Bewirkung der geschuldeten Leistung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder deren Erlass (§ 397 Abs. 1 BGB) an (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 69). Die Verjährung führt nicht zum Erlöschen einer Forderung, sondern hat lediglich zur Folge, dass der Schuldner die Leistung verweigern kann (§ 214 Abs. 1 BGB). Nach Sinn und Zweck des § 73e Abs. 1 StGB, die doppelte Inanspruchnahme des Täters zu vermeiden (BT-Drucks. aaO; vgl. auch Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 673), ist eine Ausweitung der Ausschlussklausel über ihren Wortlaut hinaus auf verjährte Ansprüche nicht veranlasst. Auch in derartigen Konstellationen hat der ersatzberechtigte Verletzte einen Anspruch auf Auskehrung des Verwertungserlöses gemäß § 459h Abs. 2 StPO (auch i.V.m. § 459n StPO)."
Rz. 8
Insoweit mag die gesetzgeberische Angleichung durch zunächst § 375a AO nachvollziehbar gewesen sein. Allerdings war nicht nachvollziehbar, dass angesichts der Absicht einer Gleichbehandlung, die Einziehung nur für Steueransprüche, nicht aber für andere, ebenfalls erlöschende, öffentlich-rechtliche Ansprüche angeordnet wurde. Dies wurde mit der Ergänzung des § 73e Abs. 1 StGB um Satz 2 ("Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.") nachgeholt. Insoweit ist das Ziel einer Gleichbehandlung erreicht.
Rz. 9
Mag man so auch eine Gleichstellung erreichen, stellt sich doch die Frage, ob hier der richtige Weg beschritten wird. Ist es nicht nur dogmatisch möglich, sondern auch sinnvoll, nach Ablauf von – bereits sehr langen – Verjährungsfristen einen Ausgleich hinsichtlich verjährter/erloschener Ansprüche zu treffen? Die Regelung führt dazu, dass – wie es bereits im Gesetzgebungsverfahren hieß –
"es faktisch keine Verjährungsgrenze für Steueransprüche mehr geben [wird]. Dies widerspricht der vom Gesetzgeber gewollten in § 169 Abs. 2 Satz 2 AO festgelegten Festsetzungsverjährung von hinterzogenen Steuern."
Dies gilt in gleicher Weise hinsichtlich der Einziehung anderer, nicht-steuerlicher Ansprüche.
Rz. 10
Die Bemessung der Länge von Verjährungsvorschriften ist Sache des Gesetzgebers. Wenn man die steuerlichen Verjährungsfristen als zu kurz empfindet, könnten sie systemkonform in der AO bzw. den ansonsten einschlägigen Gesetzen verlängert werden; systemwidrige Eingriffe im StGB wären dann nicht erforderlich. Ein Regelungsbedarf ist auch nicht recht erkennbar, denn die steuerliche Verjährung tritt ohnehin nicht ein, bevor die Steuerhinterziehung verjährt ist (§ 171 Abs. 7 AO), und die Veranlagungsverjährungsfrist bei eingeleitetem Strafverfahren kann bis zu 42,5 Jahre betragen (§ 376 Rz. 56, 176). Da in diesen gegen einen Beschuldigten geführten Verfahren die Einziehung mit dem Urteil zu erfolgen hat (§ 73 StGB), wird § 375a AO a.F. bzw. § 73e Abs. 1 StGB n.F. insoweit kaum praktisch. Sofern innerhalb dieser großzügigen Zeitspannen der (Steuer-)Anspruch nicht reguliert wurde, erscheint es wenig sinnvoll, diese Ansprüche, die dem Fiskus nicht mehr zufließen würden, weiter zu verfolgen; mit Ablauf der Verjährungsfrist sollte der mit den Verjährungsregeln beabsichtigte Rechtsfrieden eintreten, denn
"Verjährungsvorschriften [dienen] – der materiellen Rechtslage zuwider – [...] der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden (vgl. BGH, Beschl. v. 19.2.1963 – 1 StR 318/62, BGHSt 18, 274, 278; BGH v. 25.10.2017 – 2 StR 252/16, NJW 2018, 1268, 1270 [= wistra 2018, 472, 475]). Darüber hinaus sollen sie einer etwaigen Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegenwirken (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.1958 – 4 StR 145/58, BGHSt 11, 393, 396; BGH, Beschl. v. 23.1.1959 – 4 StR 428/58, BGHSt 12, 335, 337 f.; BGH v. 12.6.2017 – GSSt 2/17, BGHSt 62, 184, 195)."
Gerade der letzte Aspekt ist mit Blick auf fiskalische Ansprüche gewichtig, schließlich kommt die Einziehung hier nicht einer Privatperson mit begrenzten Mitteln, sondern dem mit eigenen Behörden und der Möglichkeit, autonom Vollstreckungstitel zu schaffen, ausgestattetem Staat/Fiskus zugute. Der Fiskus bedarf bei der ...