Schrifttum:
Bittmann, Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in der Rechtsprechung 2019/20, NStZ 2020, 517, 648; Feindt/Rettke, Die Auswirkungen des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes auf die Verjährung der strafrechtlichen Einziehung im Steuerstrafrecht und auf die Festsetzungsverjährung im Steuerrecht, DStR 2021, 79; Gehm, Neuerungen des Steuerstrafrechts aufgrund des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes, NZWiSt 2020, 368; Maciejewski, Rückwirkende Gesetzesverschärfungen im Steuerstrafrecht, wistra 2020, 441; Madauß, Die Bedeutung des § 375a AO in der Praxis von Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2020, 434; Spatscheck/Spilker, Zeitliche Grenzen der Einziehung von verkürzten Steuerbeträgen, DStR 2020, 1664; Weidemann, Keine Einziehung bei verjährtem Steueranspruch – Der BGH und die Folgen, wistra 2021, 41; Wulf, Aushebelung der Festsetzungsverjährung als "Corona-Soforthilfe", wistra 2020, 353.
A. Regelungshistorie, -zweck und Kritik
I. Regelungshistorie und Regelungszweck
Rz. 1
§ 375a AO wurde zwar formal aufgehoben, tatsächlich aber nur in das StGB verschoben (§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB). Trotz Transformation der Norm in das Kernstrafrecht werden von der Regelung auch künftig ganz überwiegend Steueransprüche erfasst, diese waren in Form des Cum-ex-Skandals auch wesentliche Triebfeder zur Schaffung der Regelung.
§ 375a AO regelte das Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung.
Rz. 2
§ 375a AO war damit eine Regelung zur strafrechtlichen Einziehung im Steuerstrafrecht. Mit dem Recht der strafrechtlichen Einziehung sollen Vermögensmehrungen aus Straftaten rückgängig gemacht werden; Unrecht soll sich nicht lohnen. Die allgemeinen Regeln der Einziehung (§§ 73 ff. StGB – dazu § 399 Rz. 53 ff.) gelten via § 369 Abs. 2 AO auch im Steuerstrafrecht, soweit das Steuerstrafrecht keine besonderen Regeln festlegt. Eine solche in kritikwürdiger Weise mit dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz eingeführte und § 73e Abs. 1 StGB variierende Sondernorm stellte § 375a StGB dar. Der Norm war formal aber nur eine kurze Wirkungsdauer vergönnt, ihre Anwendung startete am 1.7.2020 und endete gem. Art. 27, 50 JStG 2021 mit dem 29.12.2020 (Rz. 26 ff.). Ab dem 30.12.2020 wurde § 73e StGB Abs. 1 StGB um einen die Funktion des § 375a AO übernehmenden Satz 2 ergänzt.
Rz. 3
§ 73e Abs. 1 StGB hat seit dem 30.12.2020 folgenden um Satz 2 ergänzten Wortlaut:
§ 73e StGB
(1) Die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c ist ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.
Zivilrechtliche Ansprüche konnten trotz § 73e Abs. 1 StGB a.F. eingezogen werden, denn zivilrechtliche Ansprüche gehen durch Verjährung nicht unter; die zivilrechtliche Verjährung bildet nur eine die Einziehung nach der Rspr. (Rz. 7) nicht hindernde Einrede (s. Rz. 6 f.). § 73e Abs. 1 StGB a.F. wurde von § 375a StGB dahin gehend variiert, dass steuerlich verjährte Ansprüche trotz ihres Erlöschens (§ 47 AO) weiterhin eingezogen werden konnten. Diese Regel für steuerliche Ansprüche wurde durch die Verlagerung des § 375a AO in § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB n.F. nun auf alle Ansprüche erstreckt, die durch Verjährung untergehen, wie bspw. die Zollschuld gem. Art. 124 Abs. 1 Buchst. a, Art. 103 UZK.
Rz. 4
Hintergrund der Regelung ist der befürchtete Cum-ex-Steuerausfall auf Basis der Entscheidung des BGH vom 24.10.2019, laut der
"das Erlöschen des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO: hier wegen Verjährung) zum Ausschluss der Einziehung des Tatertrages oder des Wertersatzes nach § 73e Abs. 1 StGB [führt] (a.A.: Madauß NZWiSt 2018, 28, 33 f.; 2019, 49, 52)[[][]]. Nach dieser Vorschrift kann eine Einziehung nach den §§ 73 bis 73c StGB nicht erfolgen, soweit der Anspruch [...] erloschen ist. [... D]er Begriff des Erlöschens im Sinne von § 47 AO und § 73e Abs. 1 StGB [ist] schon wegen des untrennbaren sachlichen Inhalts einheitlich auszulegen. Der eindeutige Wortlaut beider Normen verbietet eine gegensätzliche Auslegung über deren Wortsinn hinaus (Art. 103 Abs. 2 GG). Die Strafgerichte sind gehalten, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen; ihn zu korrigieren, ist ihnen verwehrt (BGH, Beschl. v. 7.8.2019 – 4 StR 189/19 Rn. 16 m.w.N.)."
Rz. 5
Einstweilen frei.