Rz. 87
Steuerverkürzungen können auch durch pflichtwidriges Unterlassen, z.B. durch Nichtabgabe von Steuererklärungen oder -voranmeldungen, bewirkt werden, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (s. zu den Tatmodalitäten § 370 Rz. 271; zur Rechtsnatur § 370 Rz. 272; zur Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO s. § 370 Rz. 360).
Rz. 88
Die heute ganz überw. Ansicht behandelt die Steuerhinterziehung durch Unterlassen im Zusammenhang mit der Frage des Verjährungsbeginns wie ein unechtes Unterlassungsdelikt, das nach allgemeinen Grundsätzen mit Eintritt des Taterfolgs beendet ist. Auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen fallen damit der Zeitpunkt der Vollendung und der Beendigung zusammen. Bei Veranlagungssteuern ist aber umstritten, ob nicht nach dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz ein früherer Zeitpunkt zugrunde zu legen ist (s. Rz. 92 f.).
Rz. 89
Überholt ist damit die frühere Ansicht, die – wie beim echten Unterlassungsdelikt – auf den Verstoß gegen eine Handlungspflicht abstellte. Demzufolge sollte die Verjährung erst dann beginnen, wenn die Handlungspflicht nachträglich erfüllt wird, wegfällt oder ihre Erfüllung gegenstandslos geworden ist, sei es durch Nachholung der versäumten Steuererklärung, durch zutreffende Schätzung seitens des FA oder durch Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens. Dies hätte einen ungleich späteren Verjährungsbeginn bei der Unterlassungstat zur Folge; unter Umständen könnte eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen letztlich nie verjähren, denn die Steuererklärungspflichten bleiben selbst dann bestehen, wenn die FinB gem. § 162 AO die Besteuerungsgrundlagen geschätzt hat (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO) oder wenn ein Steuerverfahren gegen den Stpfl. eingeleitet worden ist (zu Ausnahmen unter Anwendung des Nemo-tenetur-Prinzips s. § 393 Rz. 106 ff. m.w.N. zur BGH-Rspr.). Abweichend von der Regel können solche Fallgestaltungen aber auch nach heutiger Rspr. noch vorkommen. So, wenn das Unterlassen der gebotenen Erklärung zu einem weiteren – unberechtigtem – Bezug von Leistungen führt. Vergleichbar dem Rentenbetrug kann diese Konstellation auch im Falle der Steuerhinterziehung durch Falschangaben im Rahmen des Kindergeldbezugs eintreten. Da es hier zu einer Schadensvertiefung kommt, lässt sich die Rspr.-Änderung zu § 266a StGB, die auch auf die fehlende Schadensvertiefung abstellt, hier nicht ohne weiteres übertragen. Gleichwohl führt ein sich über Jahrzehnte verzögernder Beginn des Verjährungslaufs (mit letztem Bezug als Beendigungszeitpunkt) zu einer unangemessen langen Gesamtverjährungszeit, die in keinem Verhältnis zur Tatschwere steht; auch hier erscheint eine mit dem jeweiligen Bezug startende Verjährung angemessen.
Rz. 90
Nach h.M. beginnt die Verjährung einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei Fälligkeitssteuern mit dem Fälligkeitstermin und bei Veranlagungssteuern ab dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten für die jeweilige Steuer im zuständigen Bezirk zu laufen. Damit ergibt sich für die unterschiedlichen Steuerarten Folgendes:
a) Veranlagungssteuern
Rz. 91
Bei Veranlagungssteuern ist darauf abzustellen, wann eine – hypothetische – Veranlagung wirksam geworden wäre. Wie dieser Zeitpunkt zu bestimmen ist, ist allerdings umstritten.
Rz. 92
Nach einer vorzugswürdigen Ansicht ist dabei nach dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz der frühestmögliche Zeitpunkt für die Tatbeendigung maßgeblich. Bei der Verjährung sei zugunsten des Stpfl. darauf abzustellen, wann bei einer hypothetischen Veranlagung nach einer rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung (bis zum 31.5. des Folgejahrs, § 149 Abs. 2 AO) – unter Umständen bei verlängerten Erklärungsfrist (z.B. zum 30.9. des Folgejahrs bzw. bis zu zwei Jahre später bei steuerlicher Beratung) – frühestens eine Veranlagung erfolgt wäre (also z.B. bereits am 1.6. des Folgejahrs).
So hatte auch das OLG Hamm entschieden, dass für den Beginn der Verfolgungsverjährung einer Steuerhinterziehung der Anknüpfungspunkt der Beendigung der Tat zugunsten des Stpfl. so weit wie möglich vorgezogen werden müsse. Er sei demzufolge auf den Beginn und nicht auf das Ende der Veranlagungsarbeiten zu legen.
Rz. 93
Dieser Auffassung tritt die Rspr. entgegen. Tatvollendung bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen liege vor, wenn der Täter bei ordnungsgemäßer Abgabe spätestens veranlagt worden wäre. Danach beginnt die Verfolgungsverjährung einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen erst, wenn die Veranlagungsarbeiten für den maßgeblichen Zeitraum im Großen und Ganzen – ca. 95 % – abgeschlossen sind (s. auch § 370 Rz. 413 ff. m.w.N.). Damit ist die Unterlassungstat nicht nur vollendet, sondern auch beendet, mit der Folge, dass ab dann die Verjährung gem. § 78a StGB beginnt.
Rz. 94
Laut BGH genügt das bloße Bewirken einer nicht rechtzeitigen Veranlagung nicht für die Tatbeendigung. Es komme vielmehr auf die endgültige Nichtfestsetzu...