I. Die strafrechtlichen Verjährungsvorschriften im Überblick
Rz. 41
§ 376 AO regelt nur einen kleinen Ausschnitt des steuerstrafrechtlichen Verjährungsrechts; Abs. 1 bestimmt abweichend von § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eine verlängerte Frist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung sowie eine ergänzende Ruhensregelung, Abs. 2 eröffnet ergänzend zu § 78c StGB eine zusätzliche Möglichkeit der Unterbrechung der Strafverfolgungsverjährung für Steuervergehen und § 376 Abs. 3 AO trifft eine Regelung zur absoluten Verjährung. Die Hauptregeln zur Strafverfolgungsverjährung finden sich hingegen in den §§ 78 ff. StGB, die gem. § 369 Abs. 2 AO auch für das Steuerstrafrecht gelten.
Dies bedeutet:
sind primär nach den genannten Vorschriften des StGB zu bestimmen (§ 369 Abs. 2 AO), soweit nicht § 376 Abs. 1 Halbs. 1 und Abs. 3 AO zur Dauer, § 376 Abs. 1 Halbs. 2 AO zum Ruhen oder § 376 Abs. 2 AO zur Unterbrechung abweichende Bestimmungen treffen.
Rz. 42– 43
Einstweilen frei.
II. Wesen und Rechtsnatur der Verjährung
Rz. 44
Wesen und Rechtsnatur der Verfolgungsverjährung sind streitig. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich darauf verzichtet, hierzu Stellung zu nehmen, und die Beantwortung der "dogmatisch schwierigen Fragen" der Rechtslehre und der Rspr. überlassen.
Das Reichsgericht hatte die Verjährung zunächst als Strafaufhebungsgrund behandelt. Hierauf basiert die materiell-rechtliche Theorie, die den tragenden Grund der Verjährung darin erblickt, dass mit längerem Zeitablauf das allgemeine Strafbedürfnis schwinde. Der Strafanspruch ginge damit unter.
Das Reichsgericht hat später eine gemischt materiell-formellrechtliche Theorie vertreten. Seit seiner Entscheidung vom 12.2.1942 hat es die Verjährung nur noch als Verfahrenshindernis angesehen, durch das das sachliche "Bestrafungsrecht" des Staates nicht beeinträchtigt werde. Diese Auffassung entspricht seit der Entscheidung des BGH vom 22.4.1952 der st. Rspr. des BGH.
In der Lehre hatte die gemischte Theorie, die in der Verjährung ein zugleich materielles und prozessuales Rechtsinstitut erblickt, noch zahlreiche Anhänger.
III. Zweck des Rechtsinstituts
Rz. 45
Den Zweck der Verjährung sieht die Rspr. vor allem darin,
- dem Rechtsfrieden zu dienen und
- einer etwaigen Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegenzutreten.
Ferner soll dem Umstand Rechnung getragen werden,
- dass mit zunehmendem Zeitablauf erhebliche Beweisschwierigkeiten entstehen,
- aber auch, dass im Laufe der Zeit ein ursprünglich bestehendes Strafbedürfnis immer mehr schwindet.
Hieraus leiten sich insb. für die Auslegung des § 78c StGB (s. Erl. zu Rz. 133 ff.) sowie für die Frage, bis zu welchem Verfahrensabschnitt die Verfolgungsverjährung geltend gemacht werden kann (Rz. 46), wesentliche Schlussfolgerungen ab.
IV. Beachtung der Verjährungsvorschriften im Strafverfahren
1. Berücksichtigung der Verjährung bis zur Rechtskraft des Strafausspruchs
Rz. 46
Als Grundsatz gilt, dass das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung von Amts wegen in allen Abschnitten des Strafverfahrens bis zu dem Zeitpunkt zu beachten ist, in dem die Strafvollstreckung erstmals möglich wird, d.h. bis zur Rechtskraft des Strafausspruchs. Mit Rechtskraft endet die Verfolgungsverjährung. Es beginnt die Strafvollstreckungsverjährung, § 369 Abs. 2 AO, § 79 Abs. 6 StGB. Die Rechtsfolge der Verfolgungsverjährung ist daher noch zu berücksichtigen, wenn sich der Ablauf der Verjährungsfrist erst in der ...