a) Indizwirkung eines Tax CMS

 

Rz. 409

[Autor/Stand] Mit dem BMF-Schreiben vom 23.5.2016[2] wurde der AEAO zu § 153 AO (s. auch § 371 Rz. 817) wie folgt geändert:

"Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls"[3].

Ein bestehendes Tax Compliance Management System kann nach Ansicht der Verwaltung also (lediglich) als Indiz dafür angesehen werden, dass nicht vorsätzlich oder leichtfertig gehandelt wurde. Es bedarf allerdings der Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles. Tax CMS "kann" m.E. aber nicht nur ein Indiz gegen das Vorliegen von Leichtfertigkeit darstellen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dieses im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände zwingend eine indizielle Wirkung hat[4]. Allerdings kommt es letztlich auf den Einzelfall und damit die Qualität des tatsächlich gelebten Tax CMS an. Der Umfang der entlastenden Indizwirkung hängt wesentlich hiervon ab. Je höher der Qualitätsstandard des Tax CMS ist, umso mehr reicht die bloße Indizwirkung an eine widerlegliche Vermutungswirkung heran[5].

 

Rz. 410

[Autor/Stand] Bei Steuerhinterziehungen in Unternehmen ist meist zunächst für die Strafverfolgungsbehörden nicht eindeutig, wer die Steuerhinterziehung begangen hat, also ernsthaft als Täter in Betracht kommt. Strafrechtliche Vorermittlungen sollten in diesen Fällen einer förmlichen Verfahrenseinleitung vorgehen. Leider werden in der Praxis aber meist Steuerstrafverfahren gegen (alle) Organmitglieder, als gesetzliche Vertreter des Unternehmens, eingeleitet[7]. Da es jedoch gut möglich ist, dass die Steuerhinterziehung auch auf einer anderen Ebene begangen worden ist, wäre zunächst eine "Einleitung gegen Unbekannt" der richtige Weg. Zum Täterbegriff s. § 370 Rz. 105 ff.

 

Rz. 411

[Autor/Stand] An den AEAO sind allerdings vor allem die LandesFinB (FÄ und deren Funktionsstellen) gebunden, jedoch nicht Staatsanwaltschaften und Gerichte[9]. Diese legen den gesetzlichen Maßstab des § 152 StPO an und können bei Einschaltung im Rahmen ihrer Untersuchungen abweichend von BMF-Schreiben vorgehen bzw. entscheiden. Wenn keine Anhaltspunkte zum subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegen, muss ein Gericht jedoch Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Indizien ableiten. Liegt ein funktionierendes Tax CMS vor, kann dies auch vor Gericht eben diese Indizwirkung des mangelnden (bedingten) Vorsatzes (s. § 370 Rz. 610 ff.) entfalten. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann im Einzelfall vieles dafür sprechen, dass ein funktionierendes Tax CMS im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung den Vorsatz (oder Leichtfertigkeit) ausschließt. Die steuerliche Feststellungslast für das Vorliegen vorsätzlichen (oder leichtfertigen) Handelns liegt bei der Behörde. Im Strafprozess gilt zudem der Zweifelssatz "in dubio pro reo".

Wird ein Tax CMS im konkreten Fall angewandt und gelebt, so kann jedoch streitig werden, ob dieses System wirksam ist und den jeweiligen unternehmensindividuellen Anforderungen genügt.

b) Selbstanzeige nach § 371 AO: Abgrenzung zur steuerlichen Berichtigungserklärung nach § 153 AO

 

Rz. 412

[Autor/Stand] Die rechtliche Einordnung einer Korrekturerklärung hängt nicht von der Bezeichnung der selbigen ab. Entscheidend ist vielmehr der subjektive Tatbestand; d.h. maßgebend ist die Qualität des nacherklärten Sachverhalts. Es ist zu prüfen, ob die ursprüngliche (unrichtige) Steuererklärung schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) unrichtig abgegeben wurde[11]. Abhängig von der Qualifikation der Nacherklärung bestehen unterschiedliche Anforderungen (ausf. hierzu Erl. zu § 371, § 378). War die ursprüngliche Erklärung

  • vorsätzlich unrichtig gem. § 370 AO, so ist die Korrekturerklärung als eine strafbefreiende Selbstanzeige gem. § 371 AO zu werten.
  • "nur" leichtfertig unrichtig gem. § 378 AO, dann ist die Korrekturerklärung eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige gem. § 378 Abs. 3 AO.
  • "lediglich" fahrlässig oder gar schuldlos unrichtig, so ist die Korrekturerklärung eine schlichte steuerliche Berichtigungserklärung gem. § 153 AO (s. hierzu § 370 Rz. 334; § 371 Rz. 812 ff.).

Ein funktionierendes Tax CMS kann an dieser Stelle nach dem BMF-Schreiben vom 23.5.2016 ein Indiz dafür sein, dass gerade kein (bedingt) vorsätzliches Handeln vorliegt, und damit den Verdacht einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO erschüttern.

c) Aufgedrängte Selbstanzeige

 

Rz. 413

[Autor/Stand] In der Praxis teilt die FinB häufig nicht ausdrücklich mit, ob sie von einer Selbstanzeige oder einer Berichtigungserklärung ausgeht. Es kann jedoch anhand von Indizien erkannt werden, welche Einstufung die Behörde vorgenommen hat. Wird gegen einen Beschuldigten ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, geht die FinB von vorsätzlichem Verhalten und infolgedessen von einer Selbstanzeige nach § 371 AO ...

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