I. Allgemeines
Rz. 37
Nach § 377 Abs. 2 AO gelten für Steuerordnungswidrigkeiten die Vorschriften des Ersten Teils des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (§§ 1–34 OWiG), soweit die Bußgeldvorschriften der Steuergesetze – speziell die §§ 378–384 AO – nichts anderes bestimmen. Die Verweisung ist abschließend und keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der Erste Teil entspricht dem Allgemeinen Teil des StGB und enthält die grundlegenden Vorschriften über die Voraussetzungen der Ahndung (Geltungsbereich des Gesetzes: §§ 1–7 OWiG; Grundlagen der Ahndung: §§ 8–16 OWiG), die Rechtsfolgen der Handlung (§§ 17–30 OWiG) und die Verjährung (§§ 31–34 OWiG). Im Ersten Teil des OWiG sind u.a. folgende – nachstehend näher ausgeführte – Rechtsbereiche geregelt:
- sachlicher, zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich (Rz. 41 ff.),
- Begehungsweisen (Rz. 49 ff.),
- Vorsatz und Fahrlässigkeit (Rz. 52 ff.),
- Beteiligung (Rz. 65 ff.),
- Handeln für einen anderen (Rz. 76 f.),
- Rechtfertigungsgründe (Rz. 78 ff.),
- Vorwerfbarkeit (Rz. 80 ff.),
- Versuch (Rz. 84),
- Höhe der Geldbuße (Rz. 85 ff.),
- Nebenfolgen (Rz. 109 ff.),
- Konkurrenzen (Rz. 145 ff.),
- Verjährung (Rz. 151 ff.).
Rz. 38
Die Bußgeldvorschriften der AO sehen folgende Abweichungen von den Bestimmungen des Allgemeinen Teils des OWiG vor:
- gem. § 378 Abs. 1 Satz 2, § 379 Abs. 1 Satz 2 AO, jeweils i.V.m. § 370 Abs. 7 AO, können auch Auslandstaten verfolgt werden (anders § 5 OWiG, sog. Territorialitätsprinzip);
- als Vorwerfbarkeitsform setzen die § 378 AO (ausschließlich), § 379 Abs. 1 und 2, §§ 380, 381 AO (neben vorsätzlichem) auch leichtfertiges Handeln voraus; fahrlässiges Handeln – wie es § 10 OWiG genügen lässt – reicht nicht aus, anders nur § 379 Abs. 3, §§ 381, 382 AO sowie bei verschiedenen Einzelgesetzen z.B. § 37 TabStG;
- bei der Höhe der Geldbuße: Während § 17 Abs. 1 OWiG Geldbuße von mindestens 5 bis höchstens 1.000 EUR vorsieht, können nach §§ 378, 383 AO Geldbußen bis zu 50.000 EUR, nach § 380 AO Geldbußen bis zu 25.000 EUR, nach § 383b AO Geldbußen bis zu 10.000 EUR und nach §§ 379, 381, 382 AO Geldbußen bis zu 5.000 EUR verhängt werden;
- bei der Verfolgungsverjährung (§ 384 AO): Bei §§ 378–380 AO gilt abweichend von § 31 Abs. 2 OWiG eine längere (fünfjährige) Verjährungsfrist. Hingegen ist diese Vorschrift auf Steuerordnungswidrigkeiten nach den §§ 381–383 AO nicht anwendbar. Die Verjährung von Ordnungswidrigkeiten nach § 130 OWiG wegen Verletzung der Aufsichtspflicht richtet sich nach überwiegender Ansicht nach derjenigen Frist, innerhalb der die der Aufsichtspflichtverletzung zugrunde liegende Zuwiderhandlung gegen betriebsbezogene Pflichten geahndet werden kann.
Rz. 39– 40
Einstweilen frei.
II. Überblick über die für das Steuerordnungswidrigkeitenrecht bedeutsamen Vorschriften des OWiG
1. Geltungsbereich
a) Sachliche Geltung (§ 2 OWiG)
Rz. 41
Das OWiG gilt für Ordnungswidrigkeiten nach Bundes- und nach Landesrecht.
b) Zeitliche Geltung (§ 4 OWiG)
Rz. 42
§ 4 OWiG regelt die zeitliche Geltung der Bußgeldvorschriften im Einzelnen. Gemäß Abs. 1 bestimmt sich die Geldbuße nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Danach gilt bei Gesetzesänderungen zwischen Begehung und Ahndung von Steuerordnungswidrigkeiten das Rückwirkungsverbot, das bereits aus dem verfassungsrechtlich garantierten Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) abzuleiten ist. Bestehenden oder neu geschaffenen Bußgeldtatbeständen darf daher keine rückwirkende Kraft beigelegt werden. Dies gilt nach h.M. nur für das materielle Recht. Für das Verfahrensrecht hat das Rückwirkungsverbot keine Geltung. Besonderheiten ergeben sich hier insbesondere bei einem Wechsel der Verfolgungsverjährung. Ändert sich die Bußgeldandrohung infolge einer Gesetzesänderung nach Beendigung der Handlung, so gilt das mildeste Gesetz (§ 4 Abs. 3 OWiG).
Rz. 43
Bußgeldvorschriften sind gegenüber einem Strafgesetz selbst dann das mildere Gesetz, wenn die Geldbuße einen höheren Betrag vorsieht als der ehemalige Straftatbestand, da mit der Geldbuße nach überwiegender Auffassung kein sittliches Unwerturteil ausgesprochen wird. Gegenüber anderen Bußgeldvorschriften ist das mildeste Gesetz dasjenige, das den geringeren Höchstbetrag androht.
Rz. 44
Bei Zeitgesetzen gilt das Rückwirkungsgebot nicht (§ 4 Abs. 4 Satz 2 OWiG, sog. Nachwirkung). Dies bedeutet, dass die Begehung einer Tat während der Geltung eines Zeitgesetzes für den Täter auch dann strafbar bleibt, wenn das Gesetz nach der Tat au...