Rz. 44
Infolge der Verweisung auf die Unterlassensvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann die leichtfertige Steuerverkürzung auch dadurch begangen werden, dass der Täter die FinB pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Zur Bedeutung dieser Tatbestandsmerkmale s. im Einzelnen § 370 Rz. 271 ff. Zur leichtfertigen Steuerverkürzung durch Nichtabgabe der erforderlichen Steuererklärung vgl. OLG Karlsruhe. Unter Hinweis auf das Urteil des BGH vom 10.11.1999 hat das FG München hierzu entschieden, dass eine Offenbarungspflicht zumindest für diejenigen Sachverhaltselemente besteht, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist. Dies ist insb. dann der Fall, wenn die von dem Stpfl. vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rspr., den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht (s. § 370 Rz. 237, 244, 614).
Als Täter kommt nur derjenige in Betracht, der die Pflicht zur Inkenntnissetzung der FinB hat. Für den Stpfl. (s. Rz. 11.1 ff.) ergeben sich die entsprechenden Handlungspflichten aus den jeweiligen Steuergesetzen. Fraglich erscheint jedoch, ob auch die "bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Stpfl." handelnden Personen, die dem Stpfl. gegenüber lediglich rechtsgeschäftlich verpflichtet sind, Täter eines Unterlassens sein können. Bei Angestellten genügt aber nicht die Verletzung jedweder durch das Arbeitsverhältnis begründeten Pflichten, sondern die verletzte Pflicht muss Hauptpflicht des Arbeits- oder Anstellungsvertrags sein. Der BGH hat die Voraussetzungen einer Garantenpflicht aus einer Anstellung (Funktion) konkretisiert (vgl. zum Compliance Officer Rz. 47). Nicht tatbestandsmäßig sind daher z.B. Pflichtverletzungen von Verkäufern, die bei der Inventur am Jahresende eingesetzt werden, oder von Sekretärinnen, die die Portokasse verwalten. Etwas anderes gilt für angestellte Buchhalter, Leiter des Rechnungswesens oder beauftragte Angehörige der steuerberatenden Berufe (s. Rz. 43). Verfehlt ist auch die Auffassung Danzers, der steuerliche Berater werde durch die tatsächliche Übernahme eines Auftrags zum Garanten für das geschützte Rechtsgut und demzufolge verpflichtet, die gebotenen Handlungen selbst vorzunehmen. Der Auftrag eines Beraters ist zivilrechtlich zu charakterisieren. Demgegenüber regeln die Steuergesetze die steuerrechtlichen Erklärungspflichten. Grundsätzlich besteht eine Pflicht zur Aufklärung daher allein im Verhältnis Berater – Mandant, nicht aber gegenüber der FinB (s. Rz. 109). Insbesondere ist der steuerliche Berater nicht verpflichtet, dem FA gegenüber steuerwidriges Verhalten seines Mandanten anzuzeigen oder zu offenbaren (s. Beispiel in Rz. 116); bei den Berufsangehörigen ergibt sich dies bereits aus der strafbewehrten Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB (s. Rz. 119). Eine leichtfertige Steuerverkürzung durch Unterlassen des Steuerberaters kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein solch eher seltener Fall könnte dann in Betracht kommen, wenn der Berater § 34 oder § 35 AO erfüllt und daher steuerrechtliche Pflichten gegenüber dem FA zu erfüllen hat (vgl. Rz. 49).
Rz. 45
Eine Verantwortlichkeit des Steuerberaters wegen unterlassener Berichtigung einer nachträglich als unrichtig oder unvollständig erkannten Steuererklärung seines Mandanten scheidet nach dem Urteil des BGH vom 20.12.1995 aus. Der steuerliche Berater und seine Mitarbeiter gehören nicht zu dem in § 153 AO bezeichneten Personenkreis, so dass sie keine Rechtspflicht zur nachträglichen Berichtigung trifft. Der BFH hat diese Frage in seiner Entscheidung vom 29.10.2013 ausdrücklich offengelassen.
Beispiel
Steuerberater S stellt bei Anfertigung der Einkommensteuererklärung 2014 für seinen Mandanten steuerliche Unregelmäßigkeiten fest. Eine Nachprüfung, ob auch in den vorangegangenen Jahren 2012 und 2013 nicht erklärte Bareinnahmen erfolgten, unterließ er aber.
Rz. 46
Eine leichtfertige Steuerverkürzung durch Unterlassen (der Nachprüfung und Berichtigung) gem. § 378 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2, § 153 AO scheidet nach den Grundsätzen der Entscheidung des BGH aus.
Rz. 47
Eine Berichtigungspflicht des steuerlichen Beraters ergibt sich in diesem Fall auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Garantenpflicht, z.B. kraft Übernahme des Auftrags bzw. aus vorangegangenem gefährdendem Tun.
Es ist in der Rspr. nicht abschließend geklärt, ob im Steuerstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht eine Garantenstellung aus § 13 StGB, § 8 OWiG aufgrund Übernahme eines Auftrags bzw. aus vorangegangenem Tun (sog. Ingerenz) bestehen kann, welche das Unterlassen dem aktiven Tun gleichstellt, oder ob diese Regelungen durch § 153 AO als Sonderregelung ausgeschlossen sind. Der BGH hat es in seinem Urteil vom 20.12.1995 offengelassen, ob im Steuerstrafrecht allgemeine Garantenp...