Rz. 64
An die von einem Stpfl. zu beachtende Sorgfalt dürfen generell keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Bereits in einer Entscheidung des RG finden sich dazu folgende Grundsätze, die auch heute noch Gültigkeit haben, in der Praxis aber viel zu wenig Beachtung finden:
Es würde dem Geist der AO "überhaupt nicht entsprechen, bei Anwendung des § 402 [der allerdings bloße Fahrlässigkeit voraussetzte, Anm. Verf.] an den Stpfl. hinsichtlich des Maßes der zu beobachtenden Sorgfalt unbillige Anforderungen zu stellen; das gilt um so mehr, je weniger er bei der Neuheit oder Undurchsichtigkeit oder Mannigfaltigkeit der Steuervorschriften in der Lage ist, das Bestehen oder den Umfang einer Steuerpflicht zu erkennen [Anm. Verf.: Auch der BGH sah sich in einem Verfahren betreffend die Steuerberaterhaftung dazu motiviert, die Komplexität des Steuerrechts festzustellen]. Freilich entbindet ihn das nicht von einer etwaigen Erkundigungspflicht; aber auch in dieser Hinsicht darf von ihm nicht mehr verlangt werden, als ihm in seiner Lage bei gewissenhafter Rücksichtnahme auf die Möglichkeit des Bestehens einer Steuerpflicht vernünftigerweise zugemutet werden kann".
Insoweit lässt sich der Entscheidung des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 26.2.2003 der allgemeine Rechtssatz entnehmen, dass dem steuerlichen Laien solche Umstände (im konkreten Fall: die gesetzliche Differenzierung zwischen ortsfesten und mobilen Verbrennungsöfen) nicht bekannt sein müssen, die selbst Berufsrichtern sowie den im jeweiligen Fachbereich hauptberuflich tätigen ehrenamtlichen Richtern unbekannt sind.
Wenn ein Formular lediglich die gesetzliche Überschrift eines Paragraphen des EStG (z.B.: Anlage V – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) wiederholt und sich hiermit begnügt, ohne weitere Erläuterungen zu geben, so kann es dem Stpfl., der keine steuerrechtliche Vorbildung genossen hat, nicht zum Nachteil gereichen, wenn er nicht über das erforderliche Wissen verfügt, um den ihn betreffenden Sachverhalt unter die entsprechende Norm zu subsumieren. Jedenfalls kann hierin nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründet liegen.
Im Einzelfall kann ein Fehler beim Ausfüllen der Erklärung den Vorwurf der Leichtfertigkeit begründen (vgl. zu Fehlern beim Ausfüllen der Einkommensteuererklärung bei zuvor zutreffender Feststellungserklärung BFH vom 23.7.2013; s. hierzu Rz. 34). Kriterien hierfür sind z.B. das Ausmaß des Fehlers (insb. in Relation zu den sonstigen Besteuerungsgrundlagen), ob es sich um Angaben handelt, deren steuerliche Relevanz auf der Hand liegt, nach denen im Formular ausdrücklich gefragt wird, ob die Erklärung durch den Fehler leicht erkennbar unplausibel wird, ob der Berater bestimmte Fragen diesbezüglich gestellt hat oder die berufliche und intellektuelle Qualifikation des Stpfl. Erkennt der Stpfl. allerdings nach Ergehen des Bescheids, dass die Erklärung unzutreffend gewesen war, so besteht die Korrekturpflicht gem. § 153 AO, deren Verletzung eine Hinterziehung durch Unterlassen begründen kann. Dann erledigt sich hierdurch die Diskussion um die Leichtfertigkeit im Einzelfall. Hingegen kann eine Garantenpflicht, welche eine Richtigstellung bereits aufgrund leichtfertigen Vorverhaltens oder leichtfertigen Nichterkennens im Zeitpunkt der Bescheidbekanntgabe verlangen würde, nicht begründet werden. Eine solche Garantenpflicht würde die besonderen Voraussetzungen des § 153 AO umgehen.
Eine nicht nur fahrlässige, sondern auch leichtfertige Verletzung der erforderlichen Sorgfalt liegt aber jedenfalls dann vor, wenn der Täter sich gegenüber seinen Steuerpflichten völlig gleichgültig verhält.
Beispiel 6
A gab in der Zeit zwischen 1956 und 1963 seine Steuererklärungen im Wesentlichen jeweils erst nach dem Abschluss der Veranlagungsarbeiten oder überhaupt nicht ab. Die deshalb erheblich verspätet vorgenommenen Veranlagungen ergaben in allen Jahren, dass die geleisteten Vorauszahlungen hinter den Steueransprüchen weit zurückblieben. Dadurch hat A Steuerverkürzungen bewirkt.
Das KG führte aus:
Der Sachverhalt rechtfertige "die Folgerung des Tatgerichts, es beruhe auf besonderer Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber seinen steuerlichen Verpflichtungen, dass er jahrelang seine Steuererklärungen mit erheblicher Verspätung abgab, die Mahnungen und Erinnerungen des Finanzamts nicht beachtete und nicht einmal Verlängerung der Abgabefristen beantragte. Ein solches Verhalten enthält schwere Sorgfaltsmängel und macht sogar vorsätzliches Handeln wahrscheinlich [...] Vergeblich bringt die Revision vor, der Angeklagte habe an eine mögliche Steuerverkürzung überhaupt nicht gedacht. Da die Umstände dazu drängten, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, unterstreicht dieser Einwand eher die grobe Unachtsamkeit des Angeklagten".
Als Grund dafür, warum das FG Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 16.9.2003 in Bezug auf die dortigen Kläger – ein früher als technischer Angestellter in der Arbeitsvorbereitung tätiger Rentner u...