Rz. 30
Mit § 379 AO werden verschiedene Verstöße gegen steuerrechtliche (insbesondere betreffend die Mitwirkung im Besteuerungsverfahren, §§ 117c, 138 ff., §§ 140 ff. AO) und außersteuerrechtliche Pflichten mit Bußgeld bedroht, weil der staatliche Steueranspruch schon hierdurch gefährdet ist, allerdings nicht in einer derart konkreten Weise, wie sie insbesondere mit der Erstellung und Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung – und damit der Erfüllung einer objektiven Steuerverkürzung – verbunden ist. Die verschiedenen Gefährdungstatbestände betreffen Handlungen, die typischerweise bei der Anbahnung von Steuerverkürzungen begangen werden.
Beispiele
Ausstellen von Schein- bzw. Gefälligkeitsrechnungen; Handeln mit Quittungen; Bargeschäfte ohne Rechnung; Einrichtung anonymer Konten; ungenügende Aufzeichnung des Warenausgangs; Missachtung von Datenerhebungs- und Mitteilungspflichten.
Rz. 31
Ein konkreter Verkürzungserfolg ist nicht notwendig, die eingetretene Gefährdung genügt. Auf der Vorstufe zum eigentlichen Verletzungstatbestand sind diese Handlungsweisen – ohne § 379 AO – als bloße Vorbereitungshandlungen nicht von den Kerntatbeständen der vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung nach §§ 370, 378 AO, auch nicht als Versuch, erfasst. Das Handeln kann allenfalls den allgemeinen Straftatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) oder der Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StBG) erfüllen, wobei diese Normen die inhaltliche Unrichtigkeit von Urkunden und technischen Aufzeichnungen ("schriftliche Lüge", s. dazu Rz. 66) nicht erfassen. Dies ist aber der Regelfall bei § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 4 AO. Mit den selbständigen Bußgeldtatbeständen in § 379 AO werden diese Handlungen als Steuerzuwiderhandlungen geahndet und dadurch das in den §§ 370, 378 AO geschützte Steueraufkommen bereits in einem frühen, mitunter weit vor der eigentlichen Verkürzungshandlung liegenden Stadium geschützt.
Rz. 32
Nahezu ohne konkreten Zusammenhang mit späteren Verkürzungshandlungen erfassen § 379 Abs. 2 Nr. 1c und Nr. 1e-1g AO Zuwiderhandlungen gegen Berichtspflichten nach § 138a AO bzw. gegen die Meldepflicht bzgl. grenzüberschreitender Steuergestaltungen auf einer generell-abstrakten Ebene, da insoweit nach der gesetzgeberischen Intention eine Gefährdung des Steueraufkommens bereits durch effektive Ausnutzung der bestehenden steuergesetzlichen Regelungen in den Blick genommen wird (s. Rz. 13 und 18).
Rz. 33
Eine erhebliche, den technischen Manipulationsmöglichkeiten geschuldete (s. Rz. 14 f.) Vorverlagerung bedeuten auch die ab 2020 eingreifenden bußgeldbewehrten Pflichten im Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Aufzeichnungssysteme (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4–6 AO i.V.m. § 146a AO). Hierdurch soll – unter Umständen den eigentlichen (unrichtigen) Buchungsvorgängen zeitlich weit vorgelagert – sichergestellt werden, dass digitale Grundaufzeichnungen nicht nachträglich manipuliert werden können.
Rz. 34
Die Sanktionierung von Zuwiderhandlungen unter Umständen weit im Vorfeld eines Steuerverkürzungsdeliktes, insbesondere durch § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, wird vereinzelt im Hinblick auf den Grundsatz nemo tenetur deshalb kritisch gesehen, weil der Stpfl. durch Erfüllung der maßgeblichen Aufzeichnungspflichten gezwungen werde, Unterlagen zu schaffen, die in einem möglichen Straf- bzw. Bußgeldverfahren gegen ihn verwendet werden könnten. Tatsächlich wird das zu wahrende Selbstbelastungsverbot regelmäßig nicht berührt werden. Im Zeitpunkt der Fertigung von Aufzeichnungen als Anknüpfungspunkt für den Gefährdungstatbestand nach § 379 AO besteht gerade keine Konfliktlage, denn eine Steuerzuwiderhandlung wird allenfalls später begangen werden.
Rz. 35
Die praktische Bedeutung des § 379 AO ist nach wie vor vergleichsweise gering. Dies ist in der Regel darauf zurückzuführen, dass regelmäßig in der Folge der Tathandlungen unrichtige Steuererklärungen abgegeben werden, die zu einer unzutreffenden Steuerfestsetzung und damit zur Steuerverkürzung nach §§ 370, 378 AO führen. Der subsidiäre Gefährdungstatbestand als Vorbereitung der Steuerverkürzung findet dann keine Anwendung (zum Verhältnis der Steuergefährdung zum Verkürzungsdelikt s. Rz. 703 ff.). Eigenständige und nicht zuletzt angesichts des im Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Aufzeichnungssysteme bzw. dem Unterhalten von Beziehungen zu Drittstaat-Gesellschaften erheblich angehobenen Bußgeldrahmens (s. Rz. 664 f.) zukünftig ggf. auch wieder zunehmend praktische Bedeutung erlangt die Vorschrift dann, wenn die Manipulationen und sonstige Zuwiderhandlungen weit im Vorfeld möglicher unrichtiger Buchungen oder Erklärungsdelikte (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5, 6 AO) liegen, vor Abgabe der Steuererklärungen (z.B. anlässlich einer Außenprüfung) aufgedeckt werden, der Täter der Steuergefährdung selbst nicht an der Steuerverkürzung beteiligt ist (i.d.R....