Rz. 31
Geht man vom Wortlaut des § 380 AO aus, besteht für den Täter eine doppelte Verpflichtung, nämlich die Einbehaltung und die Abführung der Abzugsbeträge. Dennoch soll nach h.M. ein Bußgeld bereits dann verhängt werden können, wenn der Täter nur eine der beiden Verpflichtungen (Einbehaltung oder Abführung) verletzt. Nach diesem Verständnis der Norm obliegen dem Täter zwei Verpflichtungen, von denen er jeweils eine erfüllen und die andere verletzen kann (sog. alternative Tatbestandserfüllung).
Rz. 31.1
Dieser Sichtweise ist zuzustimmen, soweit der Abzugspflichtige die Steuern zwar rechtzeitig und vollständig einbehält, die einbehaltenen Beträge aber nicht rechtzeitig abführt, etwa weil er die Beträge für andere Zwecke verwendet. Hier ist (nur) die Abführungspflicht verletzt, dennoch kann nach § 380 AO ein Bußgeld verhängt werden.
Rz. 31.2
Ein isolierter, sanktionsbewehrter Verstoß gegen die Einbehaltungspflicht ist hingegen nicht möglich, denn es ist nicht denkbar, dass Steuern, die nicht einbehalten worden sind, dennoch vollständig abgeführt werden können. Anders ausgedrückt heißt das: Die Pflicht zur Einbehaltung der Steuern kann nicht verletzt werden, ohne dass auch in entsprechender Höhe gegen die Pflicht zur Abführung der Abzugsbeträge verstoßen wird.
Beispiel
Ein Unternehmer zahlt einem Arbeiter, der sich weigert, seine Steuer-ID-Nr. zum Abruf der ELStAM-Daten mitzuteilen, am Zahltag jeweils den vereinbarten Bruttolohn voll aus, ohne die vom Bruttolohn zu berechnenden Steuerbeträge einzubehalten.
Würde der Arbeitgeber nun die Lohnsteuerbeträge am Zahlungstermin aus eigener Tasche zahlen, um eine Sanktion nach § 380 AO zu vermeiden, so wäre die Lohnsteuer dennoch nicht vollständig abgeführt. Denn die Zahlung des Arbeitgebers aus eigener Tasche erhöht das steuerpflichtige Einkommen des Arbeitnehmers über den Bruttolohn hinaus, so dass die Lohnsteuer von dem erhöhten Betrag zu berechnen wäre.
Würde der Arbeitgeber aber auch diese erhöhten Lohnsteuerbeträge zahlen, so wären diese Steuerabzugsbeträge am Zahltag rein rechnerisch und damit ausreichend (s. Rz. 32) sowie auch rechtzeitig und vollständig einbehalten worden.
Rz. 31.3
Der Tatbestand des § 380 AO kommt demnach immer nur dann zur Anwendung, wenn Steuerabzugsbeträge nicht rechtzeitig oder nicht vollständig abgeführt werden, sei es, dass gegen diese Verpflichtung allein oder daneben auch gegen die Einbehaltungspflicht verstoßen wird. Auf die besondere Hervorhebung des "Nichteinbehaltens" im Tatbestand könnte daher – unter Vereinfachung des Tatbestands – verzichtet werden, ohne dass sich der Schutzbereich des § 380 AO ändern würde. Treffender ließe sich die Tathandlung des § 380 AO in Anlehnung an den im Straftatbestand des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) verwandten Terminus des "Vorenthaltens" umschreiben, unter dem das völlige oder teilweise Unterlassen der Abführung der geschuldeten Beträge spätestens bis zum Ablauf des Fälligkeitstages zu verstehen ist. Unabhängig von der Terminologie haben die weiteren, am Wortlaut des § 380 AO orientierten Ausführungen zu dem Begriff "Nichteinbehalten" Bedeutung für die Anwendung des Tatbestandes insgesamt, d.h. im Sinne eines "Vorenthaltens" der Abzugsbeträge.