I. Täterkreis
Rz. 9
Da nur der geschäftsmäßige Erwerb von Steueransprüchen unzulässig ist, erfasst § 383 AO nur den geschäftsmäßig handelnden Täter. Wegen des besonderen persönlichen Merkmals der Geschäftsmäßigkeit (s. dazu Rz. 25) ist die Norm ein Sonderdelikt. Bei Handlungen von vertretungsberechtigten Organen, Gesellschaftern und gesetzlichen Vertretern (§ 9 Abs. 1 OWiG) oder Beauftragten (§ 9 Abs. 2 OWiG) genügt es, wenn der Vertretene geschäftsmäßig handelt. Das besondere persönliche Merkmal der Geschäftsmäßigkeit wird dem Handelnden zugerechnet (§ 9 Abs. 1, 2 OWiG i.V.m. § 377 Abs. 2 AO), auch wenn es nicht bei ihm selbst, sondern nur bei der vertretenen Person vorliegt.
Beispiel
Vorstandsmitglied V eines rechtsfähigen Lohnsteuerhilfevereins erwirbt für den Verein, der geschäftsmäßig Kreditvermittlung betreibt, den Lohnsteuer-Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers A. V kann als vertretungsberechtigtes Organ des Lohnsteuerhilfevereins nach § 383 AO belangt werden, auch wenn er selbst bei dem Erwerb (z.B. mangels Wiederholungsabsicht) nicht geschäftsmäßig gehandelt hat.
Beteiligen sich mehrere Personen an einem Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig, wenn nur einer von ihnen geschäftsmäßig handelt (§ 14 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 377 Abs. 2 AO; s. § 377 Rz. 73).
Rz. 10
Nach § 383 AO kann als Täter nur der Abtretungsempfänger verfolgt werden, während der Abtretende (im Beispiel Rz. 9 Arbeitnehmer A) nicht Beteiligter i.S.d. § 14 OWiG ist. Schließlich erfasst die Vorschrift nur den "Erwerb" von Ansprüchen und beschränkt die Mitwirkung des Abtretenden regelmäßig (außer im Falle einer Beteiligung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 OWiG) darin, zur Verwirklichung des Tatbestandes beizutragen, so dass auch nach den Grundsätzen der notwendigen Teilnahme eine Sanktionierung ausscheidet (s. § 377 Rz. 70).
II. Objektiver Tatbestand
1. Überblick
Rz. 11
Merkmale des objektiven Tatbestands des § 383 Abs. 1 AO i.V.m. § 46 Abs. 4 Satz 1 AO sind:
- Erstattungsansprüche oder
- Vergütungsansprüche, die
- unzulässig gewerbsmäßig erworben werden.
2. Erstattungsansprüche
Rz. 12
Ein Steuererstattungsanspruch i.S.d. § 383 AO i.V.m. § 46 Abs. 4 Satz 1 AO ist gegeben, wenn eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO) oder der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO). Der Erstattungsanspruch ist mithin der umgekehrte Leistungsanspruch, wenn bspw. Steuern doppelt oder nach einer Änderung der Steuerfestsetzung (vgl. §§ 172 ff. AO) zu viel gezahlt wurden. Erstattungsberechtigter ist nach dem Gesetzeswortlaut der Steuerpflichtige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Die Vorschrift ist missverständlich formuliert: Gemeint ist, dass die Erstattungsberechtigung demjenigen zugutekommt, für dessen Rechnung die Zahlung geleistet worden ist. Abzustellen ist darauf, wessen vermeintliche Schuld getilgt werden sollte. Der Grundsatz, dass materiell ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen wieder auszugleichen sind, wird formell durch die Bestandskraft bzw. Änderbarkeit der Steuerbescheide (vgl. §§ 155, 170 ff. AO), die Grundlage für die formelle Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis sind (§ 218 Abs. 1 AO), begrenzt.
Rz. 13
Erstattungsansprüche entstehen im Zeitpunkt der Erfüllung des nicht bestehenden Steueranspruchs, d.h. mit Zahlung des nicht geschuldeten Betrags. Bei Überbezahlung von Steuervorauszahlungen (vgl. § 36 Abs. 1, 4 Satz 2 EStG, § 20 Abs. 3 GewStG) ist abzustellen auf den Ablauf des Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums, soweit die Überbezahlung später erfolgt, erst auf diesen Zeitpunkt. Insbesondere der Anspruch auf Lohnsteuererstattung entsteht mit Ablauf des Veranlagungszeitraums und nicht erst nach Festsetzung der Jahressteuer. Der (Jahres-)Steuerbescheid bildet allerdings insoweit einen neuen Rechtsgrund für die gezahlten Steuerbeträge, der die Erstattung gem. § 37 Abs. 2 AO ausschließt.
Rz. 14
Neben der allgemeinen Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO regeln die Einzelsteuergesetze den Rechtsgrund und die Entstehung der Erstattungsansprüche (vgl. §§ 37, 38 AO) und bestimmen, wer Steuerschuldner ist. Für die darin geregelten Steuererstattungsansprüche ist kennzeichnend, dass der Erstattungsanspruch aus einem zu dem die Steuerfestsetzung begründenden Tatbestand hinzutretenden nachträglichen besonderen Sachverhalt erwächst, der weder die Re...