Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Allgemeines
Rz. 770
Wer eine richterliche Entscheidung mit den Rechtsmitteln der Beschwerde, Berufung oder Revision anfechten will, muss vorab Folgendes klären:
- Wer kann das Rechtsmittel einlegen?; s. Rz. 771;
- Ist der Beschwerdeführer durch die Entscheidung "beschwert"?; s. Rz. 773;
- Welche Fristen und Formen sind zu beachten?; s. Rz. 774 ff.;
- Welche Konsequenzen hat die Anfechtung?; s. Rz. 790 ff.
aa) Aktivlegitimation
Rz. 771
Aktiv legitimiert zur Einlegung von Rechtsmitteln sind:
- der Beschuldigte (§ 296 StPO);
- sein Verteidiger (aber nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen, § 297 StPO);
- sein gesetzlicher Vertreter (dieser auch ohne Rücksicht auf den Willen des Beschuldigten, § 298 StPO);
- die StA (§ 296 Abs. 1 StPO), die – entsprechend ihrer Stellung als unparteiisches Rechtspflegeorgan – das Rechtsmittel auch zugunsten des Beschuldigten einlegen kann (§ 296 Abs. 2 StPO);
- sonstige Verfahrensbeteiligte (§ 433 Abs. 1 Satz 1, § 440 Abs. 3, § 442 Abs. 1, § 444 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder andere, von einer Entscheidung betroffene Personen (§ 304 Abs. 2, § 305 Satz 2 StPO). Bei der letztgenannten Personengruppe ist eine Unterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar Betroffenen wenig behilflich. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der durch die Maßnahme in seinen Rechten, d.h. in seiner Freiheit, seinem Vermögen oder einem sonstigen Recht beeinträchtigt ist.
Beispiel
Aufgrund richterlicher Anordnung werden bei einer Durchsuchung in den Kanzleiräumen des Steuerberaters S die Geschäfts- und Buchführungsunterlagen seines Mandanten A beschlagnahmt. A ist als Eigentümer der beschlagnahmten Sachen beschwerdebefugt (§ 98 StPO).
Rz. 772
Die FinB ist nicht aktivlegitimiert; sie kann allenfalls die Einlegung eines Rechtsmittels bei der StA anregen (vgl. Nr. 88, 95 RiStBV).
bb) Beschwer
Rz. 773
Für die Zulässigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels kommt es weiter darauf an, dass die angefochtene Entscheidung eine unmittelbare Beeinträchtigung der Rechte oder schutzwürdigen Interessen des Beteiligten darstellt. Eine solche Beschwer ist beim Angeklagten nur bei einer Verurteilung gegeben, nicht aber bei einem Freispruch. Für die Beschwer kommt es allein auf den Urteilstenor und nicht auf die Urteilsgründe an. Die StA ist immer schon dann zur Einlegung eines Rechtsmittels befugt, wenn möglicherweise unrichtig entschieden worden ist, also unabhängig davon, ob die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten ergangen ist.
cc) Form und Frist
Rz. 774
Für die Einlegung der Rechtsmittel ist in formaler Hinsicht dreierlei zu beachten:
(1) Wahrung der Frist
Rz. 775
Berufung und Revision sind nur zulässig, wenn sie innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist und in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt werden. Beide Rechtsmittel können nur innerhalb einer Frist von einer Woche seit Verkündung des Urteils bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden (§ 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1 StPO).
Rz. 776
Die Berufungs- und Revisionsfrist bei Verkündung in Abwesenheit des Angeklagten wird bereits mit Verkündung des Urteils in Gang gesetzt, wenn sich der Angeklagte durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger hat vertreten lassen und dieser bei der Verkündung des Urteils anwesend war (§ 314 Abs. 2, § 341 Abs. 2 StPO). Andere Fälle der Abwesenheit des Angeklagten, z.B. nach § 231 StPO, werden nicht erfasst.
Rz. 777
Die Revision muss zudem zusätzlich form- und fristgerecht begründet werden (§§ 344, 345 StPO). Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. War zu dieser Zeit das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung (§ 345 Abs. 1 StPO). Diese Monatsfrist kann nach überw. Ansicht, auch der Rspr., nicht verlängert werden. In der Regel ist für den Fristbeginn damit die Urteilszustellung maßgebend.
Die Form der Revisionsbegründung schreibt § 345 Abs. 2 StPO vor. Für den Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
Rz. 778
Die Berufung kann, muss aber nicht begründet werden (§ 317 StPO).
Rz. 779
Die Beschwerde muss ebenfalls bei dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 306 Abs. 1 StPO). Die sofortige Beschwerde muss innerhalb einer Woche ab Bekanntmachung der Entscheidung eingelegt werden (§ 311 Abs. 1, 2 StPO). Hingegen ist die Einlegung der einfachen Beschwerde an keine Frist gebunden (arg. § 306 Abs. 1 StPO).
Rz. 780
Die Berechnung der Frist erfolgt nach § 43 StPO.
Beispiel
Gegen S erging das Urteil an einem Mittwo...