Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Ergänzender Hinweis: Nr. 97, 99 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 97, 99).
Schrifttum:
Hohmann, Die Gegenvorstellung – "Stiefkind" des Strafverfahrens, JR 1991, 10; Matt, Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, MDR 1992, 820; Werner, Strafprozessuale Gegenvorstellung und Rechtsmittelsystem, NJW 1991, 19; Wiedemann, Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, 1981; Wölfl, Die Gegenvorstellung im Strafprozess, StraFo 2003, 222; Woesner, Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, NJW 1960, 2129.
Rz. 862
In der StPO nicht ausdrücklich vorgesehen, aber dennoch für das Strafverfahren von praktischer Bedeutung sind die formlosen, d.h. nicht an Fristen oder Formen gebundenen Rechtsbehelfe der Gegenvorstellung und der Dienstaufsichtsbeschwerde. Sie sind Erscheinungsformen des Petitionsrechtes nach Art. 17 GG.
a) Gegenvorstellung
Rz. 863
Eine Gegenvorstellung ist stets zulässig und kommt insb. in Betracht, wenn eine förmliche Beschwerde (s. Rz. 795 ff.) unzulässig ist. Sie kann auch zur Anbahnung einer Verständigung (s. Rz. 1233 ff.) dienlich sein.
Die Gegenvorstellung ist eine Aufforderung zur Überprüfung und Abänderung der ergangenen Entscheidung durch den Entscheidungsträger (Steufa, StA, Gericht) selbst von Amts wegen. Daher ist Zulässigkeitsvoraussetzung die Befugnis des Entscheidungsträgers zur nachträglichen Abänderung der Entscheidung, d.h. Urteile und beschwerdefähige Beschlüsse fallen nicht darunter. Eine Ausnahme gilt nur bei einem rechtskräftigen, aber fehlerhaften Beschluss über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels mit der Folge praktischer Rechtlosigkeit des Betroffenen. Wenn auch nach heutigem Recht die Anhörungsrüge (s. Rz. 865 ff.) der vorrangige Rechtsbehelf sein dürfte, ist jedenfalls weiterhin die Gegenvorstellung nicht ausgeschlossen. Der Betroffene hat aus Art. 17, 103 Abs. 1 GG einen Anspruch auf sachliche Überprüfung der Gegenvorstellung. Auch wenn die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch prozessuale Maßnahmen abgesichert ist, wird eine korrespondierende Bescheidungspflicht des Entscheidungsträgers überwiegend angenommen.
Dagegen sind Nichtannahmeentscheidungen einer Verfassungsbeschwerde der Kammern des BVerfG unanfechtbar und können auf Gegenvorstellungen hin grundsätzlich auch durch die Kammer selbst nicht mehr abgeändert werden. Nur ausnahmsweise kann eine Abänderungskompetenz der Kammer bestehen, wenn bei der Entscheidung entscheidungserheblicher und präsenter Prozessstoff in einer Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise außer Acht geblieben ist.
Die Möglichkeit einer weiteren Beschwerde (die nur gem. § 310 StPO zulässig ist) gegen eine erfolglose Gegenvorstellung besteht nicht.
b) Dienst- und Sachaufsichtsbeschwerde
Rz. 864
Die Dienstaufsichtsbeschwerde richtet sich an den die Dienstaufsicht führenden Vorgesetzten und rügt das dienstliche Verhalten des Beamten (Dienstaufsichtsbeschwerde i.e.S.) oder dessen Sachbehandlung (Sachaufsichtsbeschwerde). Im Gegensatz zur Gegenvorstellung ist die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Entscheidungen des Richters nicht zulässig, da dessen Entscheidungen nicht der Dienstaufsicht unterliegen (§ 26 DRiG).
Auf die Dienstaufsichtsbeschwerde hin muss die zuständige vorgesetzte Behörde einen Bescheid erteilen, aus dem ersichtlich ist, dass die Eingabe geprüft und etwas veranlasst worden ist.
Sachaufsichtsbeschwerden bei Maßnahmen, die Beamte der Steuerfahndungsstellen in ihrer Eigenschaft als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 404 AO) und Beamte der BuStra (§ 402 AO) auf Anordnung der Staatsanwaltschaft treffen, sind, wenn ihnen nicht abgeholfen wird, der Staatsanwaltschaft vorzulegen (vgl. Nr. 97 Abs. 2 Satz 2 und 3 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 97).