Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Beschuldigter
aa) Ladung und Erscheinenspflicht
Ergänzender Hinweis: Nr. 45, 46, 53 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 45 f., 53).
Rz. 195
Der Beschuldigte ist verpflichtet, nicht nur einer richterlichen, sondern auch einer Ladung der StA (bzw. der an ihrer Stelle berufenen BuStra) Folge zu leisten (§ 163a Abs. 3 Satz 1 StPO, § 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO).
Aus der – grds. schriftlichen (§ 163a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 133 StPO) – Ladung muss hervorgehen, dass der Geladene als Beschuldigter vernommen werden soll und welche Tatvorwürfe gegen ihn erhoben werden. Der Verteidiger ist von dem Termin zu unterrichten (§ 163a Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 168c Abs. 5 StPO).
Der Termin zur Vernehmung wird aber i.d.R. aufgehoben, wenn der Verteidiger ankündigt, dass sein Mandant die Aussage verweigern wird.
Rz. 196
Bei Nichterscheinen trotz Ladung kann die BuStra entweder die Ladung wiederholen oder darauf hinweisen, dass das Verfahren nunmehr an die StA abgegeben oder Strafbefehl beantragt werde, oder ihm ist noch einmal Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben. Es kann auch die gerichtliche Vernehmung beantragt oder nach ihm gefahndet werden. Nur ausnahmsweise kann bei unberechtigter Weigerung des Beschuldigten, einer Ladung der StA/BuStra nachzukommen, seine sofortige Vorführung angeordnet werden (§ 163a Abs. 3 Satz 2 StPO mit Verweis auf §§ 133, 134 StPO).
Rz. 197
Keine Erscheinenspflicht besteht hingegen für den Beschuldigten bei einer Ladung zur Vernehmung durch die Steufa (vgl. auch Nr. 46 Abs. 1 Satz 2 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 46). In der Praxis erfolgt eine Vernehmung durch die Fahndungsbeamten zumeist im Anschluss an eine Haussuchung und Beschlagnahme, indem der Beschuldigte aufgefordert wird, zu dem Ergebnis der Zwangsmaßnahmen Stellung zu nehmen. Es muss noch einmal betont werden, dass auch die Steufa bei dieser sog. ersten Vernehmung die unter Rz. 133, 146, 201 ff. bezeichneten formellen Voraussetzungen und Grundsätze, insb. die Belehrungspflichten nach der StPO und AO, zu beachten hat.
Vielfach nutzt die Steufa auch das Überraschungsmoment der Durchsuchung aus, um angeblich "unverfängliche" Fragen an den Beschuldigten zu stellen, die sich dann in den Aktenvermerken wiederfinden bzw. Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten. Oft ist es dann für den Verteidiger schwer, diese frühen selbstbelastenden Einlassungen für das spätere Verfahren auszuschalten. Von daher ist oberstes Gebot für den Betroffenen während der Durchsuchung Schweigen.
Die obligatorische abschließende Vernehmung (§ 163a Abs. 1 StPO) erfolgt durch die BuStra oder die StA.
bb) Aussageverweigerungsrecht
Ergänzender Hinweis: Nr. 16, 46 Abs. 2 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 16, 46).
Rz. 198
Im deutschen Strafprozessrecht gehört es zum gesicherten Bestand rechtsstaatlicher Tradition, dass niemand verpflichtet ist, gegen sich selbst auszusagen bzw. an seiner eigenen Überführung aktiv mitzuwirken. Dieses von der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 GG) bestimmte Prinzip der Aussagefreiheit ist eine Ausprägung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Verbots des Selbstbelastungszwangs (sog. Nemo-tenetur-Prinzip; s. Rz. 145 ff.; zu dessen Auswirkungen im Steuerstrafverfahren s. § 393 Rz. 16, 106 ff. sowie § 370 Rz. 304 ff.). Es ist zwar in der StPO nicht ausdrücklich geregelt, kommt aber durch die in § 115 Abs. 3 Satz 1, § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorgesehenen Belehrungspflichten zum Ausdruck.
Dem Beschuldigten ist es freigestellt, ob er sich zur Sache einlässt oder ob er schweigt. Die Aussagefreiheit bezieht sich auf seine Vernehmung zur "Sache" und über seine "persönlichen Verhältnisse", soweit diese die Schuld- und Straffrage betreffen (s. Rz. 202, 146).
Grds. zu Beweisverboten und zum Problem der Fernwirkung s. Rz. 1045 ff.; speziell zu Verstößen bei der Vernehmung s. Rz. 1090 ff.
Rz. 199
Verweigert der Beschuldigte (bzw. Angeklagte) in vollem Umfang die Einlassung, so darf sein Schweigen nicht als Schuldindiz gewertet und dürfen daraus auch keine sonstigen nachteiligen Schlüsse (z.B. bei der Strafzumessung) gezogen werden. Dem Schweigen steht es gleich, wenn der Beschuldigte seine Täterschaft abstreitet oder sich als unschuldig bezeichnet.
Rz. 200
Demgegenüber kann ein teilweises Schweigen des Beschuldigten (bzw. Angeklagten) – wenn er sich also grds. zur Sache einlässt und er nur zu einzelnen Punkten die Einlassung ablehnt bzw. auf Einzelfragen keine oder unvollständige Antworten gibt – nach der Rspr. durchaus als Beweisanzeichen gewertet werden. Andererseits dürfen aus unterschiedlichen Aussageverhalten des Beschuldigten bei mehreren Vernehmungen oder in verschiedenen Verfahrensstadien keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden; das Gleiche gilt für ein der späteren...