Rz. 163
Das Zusammentreffen der Steuerstraftat mit einem Nichtsteuerdelikt wird sich zumeist erst im Laufe der Ermittlungen herausstellen. Fraglich ist, ob die FinB die Akten der StA vorlegen muss, wenn sie festgestellt hat, dass ihr die Ermittlungsbefugnis nach § 386 Abs. 2 AO fehlt. Dem könnte das durch § 355 StGB strafbewehrte Steuergeheimnis (§ 30 AO) entgegenstehen, das die Weitergabe von Erkenntnissen über allgemeine Straftaten nur unter bestimmten Voraussetzungen (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO) zulässt. Auch bestehen gegen die Verwertung der Erkenntnisse bzgl. nichtsteuerlicher Straftatbestände durch die StA und die Gerichte Bedenken in Anbetracht des mit dem Steuergeheimnis korrespondierenden Verwendungsverbotes des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO (s. Rz. 183 ff. sowie näher § 393 Rz. 187 ff.). Diese Probleme werden in der Praxis zumeist vernachlässigt, oft herrscht sogar Unkenntnis über die Zusammenhänge. Üblich ist es daher, dass die StraBu die Akten an die zuständige StA weiterleitet und die Justiz hierbei dem Legalitätsprinzip den Vorrang einräumt. In der Hauptverhandlung werden Betriebsprüfer, die als Zeugen vernommen werden, lediglich vordruckmäßig von der Wahrung der Amtsverschwiegenheit entbunden unter Hinweis darauf, dass sie das Steuergeheimnis zu wahren haben, wobei sie auf den Gesetzestext des § 30 Abs. 4 und 5 AO verwiesen werden.
Rz. 164
Nach überw. Ansicht ist die FinB zur Wahrung des Legalitätsprinzips (§ 385 Abs. 1, § 386 Abs. 2 AO, § 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet und berechtigt, die Akten an die StA zur weiteren Entschließung vorzulegen.
Rz. 165
Bei der Abgabe haben die FinB zwar grds. das Steuergeheimnis zu wahren. Sofern der FinB indes im Rahmen eines Verfahrens i.S.d. § 30 Abs. 2 AO also Verdachtsmomente über Straftaten nichtsteuerlicher Art in einem Strafverfahren zur Kenntnis gelangen (Zufallsfunde), darf der StA zunächst unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 und 5 AO hiervon Mitteilung gemacht werden (s. auch Rz. 101).
Rz. 166
Die Weitergabe von Zusammenhangstaten an die StA ist eine durch Gesetz für zulässig erklärte Offenbarung i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO bzw. generell durch § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO legitimiert (a.A. noch die Vorauflage). Eine ungerechtfertigte Privilegierung des Täters allein durch die besondere Ermittlungskompetenz der FinB ist nicht gewollt. Sinn und Zweck der Norm ist die effektive Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Zusammenhangsfällen. Tatsachen, die der FinB in ihrer Funktion als steuerstrafrechtlicher Ermittlungsbehörde bekannt geworden sind, unterliegen deshalb nicht dem Steuergeheimnis. Darüber hinaus sind die FinB bereits über das Legalitätsprinzip berechtigt und verpflichtet, entsprechende Erkenntnisse mitzuteilen. Eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung wäre indes wünschenswert.
Etwas anderes gilt, wenn die Erkenntnisse im Rahmen eines originären Steuerverfahrens, etwa durch die Steuererklärung, erlangt wurden oder ein Fall der gezielten Rollenmanipulation vorliegt, d.h. dem eigentlichen Beschuldigten dieser Status bewusst vorenthalten wird. Die FinB unterliegt insoweit dem Legalitätsprinzip.
Rz. 167
Die Abgabe der Steuerstrafsache, auch wenn sie tateinheitlich oder prozessual mit einer nichtsteuerlichen Strafsache konkurriert, ist gem. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig, da die Abgabe an die StA der Verfolgung der Steuerstraftat dient. Indes ist es unzulässig, Steuerstrafverfahren auf einen vagen Verdacht zu stützen, um den Schutz des § 30 AO auszuhebeln. Es gelten die allg. Anforderungen an die Bejahung eines Anfangsverdachts.
Rz. 168
Bei tatmehrheitlichem Zusammentreffen, ohne dass prozessual eine Tat i.S.d. § 264 StPO vorliegt, ist eine Weitergabe der "bei Gelegenheit" der Ermittlung der Steuerstraftat gewonnenen Erkenntnisse bereits unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 und 5 AO gestattet. Gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a und b AO dürfen solche Tatsachen, die der Stpfl. in Unkenntnis der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens offenbart hat oder die bereits vor der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens im Besteuerungsverfahren bekannt geworden sind, hingegen nicht weitergegeben werden, es sei denn, die Tatsachen wären ohne Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht erlangt worden.
Rz. 169
Eine Offenbarung ist auch zulässig, wenn hieran ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, wie z.B. bei besonders schwerwiegenden Wirtschaftsstraftaten (vgl. die Aufzählung in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO).
Rz. 170– 173
Einstweilen frei.