Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Zur Entstehungsgeschichte
Rz. 1
In § 388 AO wird festgelegt, welche funktionell und sachlich zuständige FinB (vgl. §§ 386, 387 AO) zur Ermittlung einer Steuerstraftat örtlich zuständig ist. Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen sachlich unverändert den Vorläuferbestimmungen der § 423 RAO 1967 i.d.F. des 1. AOStrafÄndG vom 10.8.1967 sowie § 428 RAO 1931. Es wurden lediglich die Worte "Finanzamt" durch "Finanzbehörde" und mit dem EGStGB vom 2.3.1974 die Worte "Steuervergehen" durch "Steuerstraftaten" ersetzt.
II. Zweck und Bedeutung
Rz. 2
Durch die örtliche Zuständigkeit erfährt die funktionelle und sachliche Zuständigkeit eine räumliche Begrenzung. Von mehreren funktionell (§ 386 AO) und sachlich (§ 387 AO) zuständigen FinB wird dem Bezirk nach diejenige bestimmt, die im konkreten Einzelfall die Angelegenheit zu bearbeiten hat. § 388 AO wird seinerseits ergänzt durch §§ 389, 390 AO. Für die Bundes-FinB (HZÄ und ZFÄ) bestimmt das BMF deren Bezirk und den Sitz (§ 12 Abs. 1 FVG), während dies bei den FÄ durch die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde geschieht (§ 17 Abs. 1 FVG).
Ein entsprechend erweiterter Zuständigkeitsbezirk ergibt sich, wenn im Einzelnen gesetzlich eine überörtliche Zuständigkeit angeordnet ist, so z.B. für die Straf- und Bußgeldsachenstellen bei den FÄ/HZÄ (aufgrund § 387 Abs. 2 AO und/oder § 12 Abs. 3, § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG, s. § 387 Rz. 35 ff. und 44 ff.)
Rz. 3
Die örtliche Zuständigkeit bedeutet aber nicht, dass die für das Ermittlungsverfahren zuständige FinB bei der Ausführung der ihr innerhalb ihres Bezirks zufallenden Aufgaben auf diesen Bezirk beschränkt ist. Für die FinB gilt insofern das gleiche wie für andere Strafverfolgungsorgane (StA/Polizei/Gericht), die zu Strafverfolgungsmaßnahmen im ganzen Bundesgebiet befugt sind. In der Praxis wird jedoch zumindest eine Abstimmung mit den örtlichen FinB erfolgen, insbesondere beim Vollzug von Durchsuchungsbeschlüssen.
Rz. 4
Auch § 388 AO ist – wie die Anknüpfungskriterien (s. Rz. 13 ff.) zeigen, geprägt von Zweckmäßigkeitserwägungen. Die jeweils durch die Sachnähe (§ 388 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 3 AO) bzw. durch besondere Fachkompetenz (§ 388 Abs. 1 Nr. 2 AO) ausgewiesene FinB soll danach mit der Durchführung der Ermittlungen betraut werden.
Rz. 5
Durch die einzelnen Anknüpfungspunkte des § 388 AO und des § 389 AO sind i.d.R. mehrere FinB örtlich zuständig (vgl. auch Nr. 25 Abs. 1 Satz 3 AStBV (St) 2023, s. AStBV Rz. 25). Die Zuständigkeit für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens im Einzelfall richtet sich dann nach § 390 AO. Es gilt gem. § 390 Abs. 1 AO der Grundsatz der Priorität (s. § 390 Rz. 12). Ein Zuständigkeitswechsel ist nur bei Sachdienlichkeit angezeigt (§ 390 Abs. 2 Satz 1 AO; s. § 390 Rz. 21 f.). Einen Zuständigkeitsstreit entscheidet gem. § 390 Abs. 2 Satz 2 AO die Behörde, der die um Übernahme ersuchende Behörde untersteht (s. § 390 Rz. 27).
Rz. 6
Davon unberührt bleibt das Recht jeder FinB – ohne Rücksicht auf die örtliche Zuständigkeit –, bei dem Verdacht einer Steuerstraftat Ermittlungen anzustellen und die keinen Aufschub duldenden Anordnungen zu treffen. Zum sog. Recht des ersten Zugriffs gem. § 163 Abs. 1 StPO s. § 387 Rz. 41, § 402 Rz. 8 und zu den Zwangsbefugnissen § 399 Abs. 2 AO s. § 399 Rz. 61 ff. und § 385 Rz. 75 f., 87.
III. Anwendungsbereich
Rz. 7
Die Ermittlungszuständigkeit gilt unabhängig davon, ob die FinB das Steuerstrafverfahren selbständig (vgl. § 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO) oder weisungsgebunden für die StA durchführt (§ 386 Abs. 1, § 402 AO) oder ob sie im gerichtlichen Verfahren tätig wird (vgl. § 407 AO). § 388 AO findet unmittelbar Anwendung auf die Ermittlung von Steuerstraftaten (i.S.d. § 369 Abs. 1 AO), Vorspiegelungsstraftaten (§ 385 Abs. 2 AO) sowie entsprechend auf die Verfolgung sog. Analogtaten (s. zum Ganzen § 386 Rz. 53 ff.), i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 1 AO – unter Verdrängung der allgemeinen Zuständigkeitsnorm des § 37 OWiG – auf...