Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Ermächtigungsnorm des § 391 Abs. 2 AO
Rz. 62
§ 391 Abs. 2 AO ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung eine von Abs. 1 Satz 1 abweichende Zuständigkeit der AG in Steuerstrafsachen zu bestimmen, soweit dies mit Rücksicht auf die Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse, den Aufbau der Verwaltungsbehörden oder andere örtliche Bedürfnisse zweckmäßig erscheint. Die Landesregierungen können diese Ermächtigungen ihrerseits auf die Landesjustizverwaltungen übertragen (§ 391 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Befugnis des Bundes, die Landesregierungen durch Bundesgesetz zur Errichtung gemeinsamer AG in Steuerstrafsachen im Einzelfall zu ermächtigen, ergibt sich aus seiner Zuständigkeit zur Regelung der Materie "Gerichtsverfassung" (Art. 74 Nr. 1 GG). Die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Regelung als Ermächtigungsnorm zum Erlass von Rechtsverordnungen mit Art. 80 GG hat das BVerfG ausdrücklich bejaht.
Rz. 63
Der Gesetzgeber hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Wirtschaftsverhältnisse sich unabhängig von überkommenen LG-Bezirken entwickeln und sich Steuerdelikte in wirtschaftlichen Ballungszentren zu häufen pflegen. Auch die beteiligten Verwaltungsbehörden brauchen sich nicht am Sitz eines LG zu befinden oder die Zuständigkeit dieser Behörden mag sich mit dem LG-Bezirk nicht decken.
Die Zuweisung aufgrund § 391 Abs. 2 AO lässt daher verschiedene Konstellationen zu. Sie kann dabei auch in der Weise geschehen, dass nur bestimmte Gruppen von Steuerstrafsachen, wie etwa Zollstrafsachen, einem grenznahen AG zugewiesen werden, während Steuerdelikte bezogen auf Besitz- oder Verkehrsteuern bei dem gem. § 391 Abs. 1 Satz 1 AO zuständigen AG belassen werden. Die Landesregierungen können die Zuständigkeit sogar einem einzigen AG des Landes zuweisen.
Rz. 64
Es steht im Ermessen der jeweiligen Landesregierung, ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen will, die örtliche Zuständigkeit der AG in Steuerstrafsachen abweichend von Abs. 1 Satz 1 zu regeln. Entschließt sie sich aber dazu, hat sie Vor- und Nachteile unter Berücksichtigung der in § 391 Abs. 2 AO aufgestellten Grundsätze gegeneinander abzuwägen. Wenn es mit Rücksicht auf die regionalen Verhältnisse zweckmäßig erscheint, können die Landesregierungen die Zuständigkeit sogar einem einzigen AG des Landes zuweisen.
Mit ein wichtiger Grund für eine abweichende Zuständigkeitsbestimmung ist auch die Konzentration der Strafsachenstellen gem. § 387 Abs. 2 AO, die über den LG-Bezirk hinaus für die Verfolgung von Steuerstrafsachen zuständig sind (s. § 387 Rz. 7 f. und die Tabelle in § 404 Rz. 64). Dementsprechend können gemeinsame Steuerstrafgerichte gebildet werden.
Rz. 65
Von der Ermächtigungsgrundlage des § 391 Abs. 2 AO unmittelbaren Gebrauch gemacht haben die Landesregierungen von Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen.
Rz. 66
Keinen Gebrauch gemacht von § 391 Abs. 2 AO haben Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein.
Rz. 67
In Bremen gilt noch die frühere Verordnung aufgrund des § 426 Abs. 2 RAO weiter, die jedoch faktisch durch § 3 Abs. 2 AGGVG überholt ist, der für genau diese Gebiete die allgemeine Zuständigkeit des AG Bremerhaven anordnet.
Rz. 68
In weiteren Ländern gelten Sonderregelungen. Für das Land Berlin werden gem. § 1 Abs. 1 der VO über die Zuweisung amtsgerichtlicher Zuständigkeiten (ZuwV) vom 8.5.2008 alle Strafsachen (damit auch Steuerstrafsachen) im Bezirk des LG Berlin vom AG Tiergarten bearbeitet.
Ähnliches gilt für das Saarland. Für Steuerstrafsachen ist ausschließlich zuständig das AG Saarbrücken, in dessen Bezirk das LG Saarbrücken seinen Sitz hat.
Rz. 69
In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen wurden nur – hier nicht einschlägige – Regelungen zur Konzentration von Wirtschaftsstrafsachen bei LG getroffen (s. Rz. 75).
Rz. 70
Einstweilen frei.