Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Erweiterung auf Nichtsteuerstraftaten (§ 391 Abs. 4 Halbs. 1 AO)
Rz. 82
Wie einleitend bemerkt (s. Rz. 1), ergeben sich aus § 391 Abs. 4 AO Erweiterungen und Einschränkungen der örtlichen Zuständigkeit der AG in Steuerstrafverfahren.
Rz. 83
Ohne die Regelung des § 391 Abs. 4 Halbs. 1 AO stellte sich das Problem, ob die spezialgesetzliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit auch dann zu beachten wäre, wenn ein beim AG anhängiges Strafverfahren außer Steuerstraftaten auch Nicht-Steuerdelikte, wie z.B. Urkundenfälschung, Korruptionsdelikte usw., zum Gegenstand hat. In Abs. 4 Halbs. 1 wird klargestellt, dass auch für solche Verfahren der ausschließliche Gerichtsstand der Abs. 1–3 gilt. Es ist unerheblich, ob das Schwergewicht der Taten auf der Steuerstraftat oder dem sonstigen Delikt liegt.
§ 391 Abs. 4 AO stellt auf den Inhalt des Verfahrens ab. Die Steuerstraftat und das Nichtsteuerdelikt brauchen daher auch nicht notwendig tateinheitlich im materiellen Sinne des § 52 StGB oder prozessual identisch i.S.d. § 264 StPO zu sein (s. § 370 Rz. 860 ff., 867; § 385 Rz. 1315 ff., § 386 Rz. 94, 95 ff.). Es genügt, wenn zwischen den Handlungen ein persönlicher oder sachlicher Zusammenhang (vgl. § 3 StPO) besteht (s. § 389 Rz. 3), also auch bei einem Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, von denen einer nur ein Steuerdelikt, die anderen (auch oder nur) eine andere Straftat begangen haben.
Rz. 84
Allerdings ist nicht auszuschließen, dass wegen der Gewichtigkeit der allgemeinen Straftat gegenüber der Steuerstraftat die Regelung des § 391 Abs. 4 AO im Einzelfall zu nicht praktikablen Ergebnissen führen kann. In solchen Fällen kommt eine Trennung der einzelnen Teile des Verfahrens gem. § 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1 StPO in Betracht. Diese setzt allerdings voraus, dass es sich bei dem Gegenstand des Verfahrens um mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) handelt, die im Wege der § 2 Abs. 1, § 3 StPO verbunden wurden; die Trennung einer einheitlichen Tat i.S.v. § 264 StPO ist als Verstoß gegen das Verbot doppelter Rechtshängigkeit und das Gebot der einheitlichen Aburteilung unzulässig. Möglich ist eine Trennung auch noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der StA oder von Amts wegen oder auf Antrag des Angeklagten, jeweils durch Gerichtsbeschluss.
Rz. 85
Zudem besteht die Möglichkeit, prozessual selbständige Taten sowie abtrennbare Teile einer einheitlichen prozessualen Tat gem. §§ 154, 154a StPO auszuscheiden (s. § 385 Rz. 175). Der Steuerstrafrichter bleibt zuständig, auch wenn er nach Anklage die Strafverfolgung mit Zustimmung der StA gem. § 154a Abs. 2 StPO auf die nichtsteuerlichen Delikte beschränkt hat.
II. Ausschluss bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (§ 391 Abs. 4 Halbs. 2 Alt. 1 AO)
Rz. 86
Durch Art. 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28.7.1981 (s. Rz. 5) wurden Straftaten nach dem BtMG, die mit einer Steuerstraftat im Zusammenhang stehen, von der Zuständigkeitskonzentration der AG i.S.d. § 391 Abs. 1–3 AO ausgenommen. Ein derartiger Zusammenhang besteht regelmäßig dadurch, dass die Beschaffung von Betäubungsmitteln in aller Regel grenzüberschreitend stattfindet, so dass es zwar mangels Entstehens einer Zoll- und Einfuhrumsatzsteuerschuld (vgl. Art. 83 Abs. 2 Buchst. a, b, Abs. 3 UZK; bereits früher st. Rspr. des EuGH) nicht zu einer Steuerhinterziehung (s. § 370 Rz. 538), wohl aber regelmäßig zu einem Bannbruch kommt (streitig, § 372 AO, s. § 370 Rz. 538; § 372 Rz. 97; § 373 Rz. 19, 30).
Zur Zuständigkeit der Strafsenate des BGH bei BtM und Bannbruch s. BGH vom 19.7.2018, zitiert in § 372 AO Rz. 108.1.
Durch diese Regelung, die im Übrigen wörtlich der des § 74c Abs. 1 Nr. 3 GVG entspricht (keine Zuständigkeit von Wirtschaftsstrafkammern für BtM-Delikte), sollten die Steuerstrafgerichte von der Ahndung von BtM-Straftaten mit einem völlig anderen Unrechts- und Schweregehalt entlastet werden. Der Gesetzgeber hatte damit der "Kenntnis der örtlichen Drogenszene" Vorrang eingeräumt vor der Sachkunde des Steuerstrafrichters (s. Rz. 5).
Rz. 87
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 391 Abs. 4 Halbs. 2 Alt. 1 AO bezieht sich die Vorschrift ausschließlich auf BtM-Straftaten, die durch "dieselbe Handlung" wie die Steuerstraftat begangen wurden (vgl. auch den identischen Wortlaut des § 74c Abs. 1 Nr. 3 GVG). Damit ist ein tateinheitliches Zusammentreffen i.S.d. § 52 StGB gemeint. Das führt zu dem – vielleicht vom Gesetzgeber unbedachten – Ergebnis, dass in Fällen ...