Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Allgemeine örtliche Zuständigkeitsregelungen
Rz. 30
Bevor die örtliche Zuständigkeit des sachlich i.S.d. Rz. 16 ff. zuständigen AG gem. der in § 391 Abs. 1 Satz 1 AO enthaltenen Sonderregelung festgestellt wird, muss zunächst ermittelt werden, welches AG nach den allgemeinen örtlichen Zuständigkeitsregelungen der §§ 7 ff. StPO zuständig wäre. Soweit das hiernach ermittelte AG dasjenige ist, in dessen Bezirk das LG seinen Sitz hat, bedarf es der Sonderregelung des § 391 Abs. 1 Satz 1 AO nicht.
Rz. 31
Als sog. ordentliche Gerichtstände kommen in Betracht der Tatort (§ 7 StPO), der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthaltsort oder der letzte inländische Wohnsitz (§ 8 Abs. 1 und 2 StPO) oder der Ergreifungsort (§ 9 StPO). Hierzu gilt das in § 388 Rz. 13 ff. Gesagte entsprechend. Zur örtlichen Zuständigkeit des inländischen Gerichts nach § 7 Abs. 1 StPO bei einem Transitdelikt vgl. BGH vom 7.10.2021 (dazu § 370 Rz. 79.2).
Rz. 32
Sind in einem Strafverfahren mehrere dieser Gerichtsstände in unterschiedlichen LG-Bezirken gegeben, so kann die StA nach der Rspr. des BGH grds. wählen, bei welchem AG sie Anklage erhebt. Sie darf dieses Auswahlermessen aber nicht fehlerhaft ausüben, denn dem Angeschuldigten darf sein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht entzogen werden.
Im Übrigen, sofern bereits mehrere Gerichte mit der Sache befasst waren, gilt gem. § 12 StPO der Prioritätsgrundsatz: Es gebührt dem Gericht der Vorrang, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat. Davon unberührt bleibt der Gerichtsstand des Zusammenhangs nach § 13 StPO, der auch nach Anhängigmachung der verschiedenen zusammengehörenden Strafsachen eine Verbindung ermöglicht.
2. AG im landgerichtsbelegenen Bezirk (§ 391 Abs. 1 Satz 1 AO)
Rz. 33
§ 391 Abs. 1 AO trifft eine von den vorstehend geschilderten allgemeinen Gerichtsständen der §§ 7 ff. StPO abweichende Zuständigkeitsregelung für Steuerstrafsachen. Zwar ist in § 391 Abs. 1 AO im Unterschied zum früheren Recht (s. Rz. 1) nicht mehr ausdrücklich Bezug genommen auf das Steuerstrafverfahren, dies ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Standort der Vorschrift und dem Sachzusammenhang (s. auch § 391 Abs. 3 AO und arg. e§ 391 Abs. 4 AO). Daher gilt sie auch bei sog. Analogtaten (s. § 386 Rz. 55) und im steuerlichen Bußgeldverfahren (s. Rz. 13 f.).
Rz. 34
Gemäß § 391 Abs. 1 Satz 1 AO ist für das Hauptverfahren örtlich zuständig allein dasjenige AG, in dessen Bezirk das LG seinen Sitz hat, es sei denn, aufgrund LänderVO besteht eine abweichende Regelung (s. Rz. 62, 65 ff.).
Rz. 35
Die Auswirkungen dieser Regelung lassen sich am besten an dem nachfolgenden Beispiel veranschaulichen:
Beispiel
Der in Euskirchen wohnende Täter T arbeitet als Geschäftsführer einer GmbH in Brühl. Durch falsche Angaben gegenüber dem für die GmbH zuständigen FA kommt es zu erheblichen Steuerverkürzungen. Er wird in Neuwied gestellt.
Ohne die Regelung des § 391 Abs. 1 Satz 1 AO könnte Anklage erhoben werden bei den AG Brühl (Tatort, § 7 StPO), Euskirchen (Wohnsitz, § 8 Abs. 1 StPO) oder Neuwied (Ergreifungsort, § 9 StPO).
Demgegenüber führt die Zuständigkeitskonzentration gem. § 391 Abs. 1 Satz 1 AO dazu, dass für das Hauptverfahren zuständig sind entweder das AG Köln (AG Brühl – LG-Bezirk Köln), das AG Bonn (AG Euskirchen – LG-Bezirk Bonn) oder das AG Koblenz (AG Neuwied – LG-Bezirk Koblenz).
Rz. 36
Gibt es in einem AG-Bezirk mehrere LG (so z.B. in München im Bezirk des AG München das LG München I und das LG München II), dann ist das eine AG (= AG München) zuständig für sämtliche Steuerstrafsachen aus dem Bezirk beider LG, wenn nicht aufgrund landesrechtlicher VO etwas anderes gilt (s. aber für München § 34 GZVJu, s. Rz. 68: AG München über den gleichnamigen Bezirk hinaus auch für LG München II).
Rz. 37
Die örtliche Zuständigkeit des AG ist vom Gericht gem. § 16 Satz 1 StPO bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Danach darf das Gericht seine Unzuständigkeit gem. § 16 Satz 2 StPO nur noch auf Einwand des Angeklagten (spätestens zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache) aussprechen (§ 16 Satz 3 StPO). Näheres zum weiteren Prozedere und zur Rüge der Unzuständigkeit s. Rz. 95 ff.
Rz. 38– 39
Einstweilen frei.