Rz. 516
Jede Tätigkeit braucht eine Orientierung. Die nachfolgenden fünf Grundsätze sind Orientierungspunkte bei der Bearbeitung steuerstrafrechtlicher Mandate. Orientierungspunkte sind keine feststehenden Regeln zur "Verteidigung lege artis", denn solche Regeln kann es angesichts der Komplexität von Fallgestaltungen und der Verschiedenartigkeit von Reaktionsweisen m.E. nicht geben. Auch könnte man ggf. noch einen 6. oder 7. guten Grundsatz anbringen oder in dem einen oder anderen Fall auch auf einen Grundsatz – z.B. den der Aktivität – verzichten. Die Grundsätze sollen Orientierung geben, sie sind kein Selbstzweck.
Rz. 517
a) Der oberste Grundsatz vieler strafrechtlicher Mandate heißt "Schweigen ist Gold", dies gilt jedenfalls zu Beginn des Mandats. Bei einem nicht steuerlichen Strafverfahren wird es in aller Regel zunächst darum gehen, Informationen zurückzuhalten und die Akte anzufordern, um auf diese Weise in Erfahrung zu bringen, welche Informationen der Gegenseite vorliegen. Häufig wird auch erst anschließend – also nach der Akteneinsicht – ein ausführliches Gespräch mit der Mandantschaft erforderlich bzw. zielführend sein.
Rz. 518
Wer in gleicher Weise an die Bearbeitung eines Steuerstrafmandats herangeht, macht den ersten – haftungsträchtigen – Fehler. Zwar gilt nicht "Reden ist Gold", doch muss man sich über ein etwaiges Reden viel früher und intensiver Gedanken machen.
Rz. 519
b) Dies gilt zunächst für Präventivmandate. Damit sind hier solche gemeint, in denen der Mandant – aus welcher Motivation heraus auch immer – an den Steuerberater oder Rechtsanwalt mit der Bitte herantritt, eine Steuerminderzahlung zu bereinigen.
Rz. 520
Diese Steuerminderzahlung muss als solche noch keinen strafrechtlichen Hintergrund haben – so in den Fällen einfach fahrlässiger Steuerfalscherklärung (kein § 378 AO). Die Steuerminderzahlung kann primär auch von anderen Personen zu verantworten sein – so in den Fällen der Pflichtenübernahme kraft Erbschaft oder aufgrund Übernahme einer Geschäftsführung (§ 153 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Mandant kann auch aufgrund nachträglicher Umstände – Erkennen des eigenen Fehlers, Erkennen fremder Fehler – in der Pflicht sein, diese Fehler zu korrigieren. Unterlässt er eine nach § 153 AO gebotene Fehlerkorrektur, kann dies zu einer (neuen) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) führen und würde eine Straftat begründen.
Rz. 521
Die Steuerminderzahlung kann allerdings auch einen straf-/bußgeldrechtlichen Hintergrund haben, so wenn der Mandant vorsätzlich oder leichtfertig (grob fahrlässig) seine steuerlichen Erklärungspflichten unzureichend erfüllt hat (§§ 370, 378 AO). In diesem Fall würde zwar § 153 AO keinen Ausweg bieten können, wohl aber eine Selbstanzeige nach § 371 AO oder § 378 Abs. 3 AO.
Rz. 522
In den Fällen der Präventivmandate ist also Reden durchaus Gold, wenn denn sämtliche Voraussetzungen für eine zumindest strafbefreiende Erklärung vorhanden sind.
Rz. 523
c) Doch auch im Falle eines echten Verteidigungsmandats wird man sich bereits bei Übernahme des Mandats fragen müssen, ob Teilbereiche vorhanden sind, die mit strafvermeidender (§ 153 AO) oder strafbefreiender (§§ 371, 378 Abs. 3 AO) Kraft nacherklärungsfähig sind.
Rz. 524
Ein echtes Verteidigungsmandat beginnt stets mit der Einleitung des Strafverfahrens, auch wenn dieses im Rahmen einer Betriebsprüfung erfolgt und die FinB bemüht ist, die Außenprüfung möglichst weiter in dem kooperativen Stil weiter zu verfolgen, wie es – für die Betriebsprüfung – üblich ist.
Rz. 525
Aufgrund der Novellierung des Selbstanzeigerechts sind Fälle der Nacherklärungsmöglichkeit nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im Bereich vorsätzlicher Steuerhinterziehung seltener geworden, sie kommen aber immer noch vor. Gerade deswegen sollte unmittelbar in die Überlegung eingetreten werden, ob es noch nicht entdeckte (aber entdeckungsgefährdete) Taten gibt, die nacherklärt werden können. Mit zunehmendem Zeitablauf wird das Risiko einer Tatentdeckung und Verfahrenserweiterung immer größer.
Rz. 526
Es sollte stets auch überlegt werden, ob mit Blick auf die Mandantschaft erfolgreich der Vorsatz zugunsten einer groben Fahrlässigkeit (Leichtfertigkeit) bestritten werden kann. Dies, weil die Selbstanzeige im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 378 Abs. 3 AO) weniger strengen Regeln unterfällt; hier ist eine strafbefreiende Nacherklärung beispielsweise auch dann noch möglich, wenn eine Betriebsprüfungsanordnung vorliegt, wenn bereits Tatentdeckung oder für andere Teilbereiche eine Verfahrenseinleitung vorliegt.
Rz. 527
Zudem ist es im Rahmen des § 153 AO strafrechtlich (!) nicht erforderlich, die Steuern nebst Zinsen nachzuzahlen. Gleiches gilt bei Steuerverkürzungen zugunsten eines Dritten (vgl. § 371 Abs. 3 AO). Die Steuernachzahlung hat als Tatbestandsmerkmal nur im Rahmen der §§ 371, 378 Abs. 3 AO ...