Rz. 286
Aus dem anwaltlichen Standesrecht ist insbesondere die Wahrheitspflicht relevant. Anders als sein Mandant darf der Verteidiger nicht lügen (vgl. § 43a BRAO), Beweismittel trüben, Sachverhalte verdunkeln oder die Wahrheitserforschung erschwerende Handlungen verüben. Er macht sich ansonsten der Strafvereitelung (§ 258 StGB) schuldig (s. dazu auch Rz. 211 ff.).
Rz. 287
Andererseits braucht der Verteidiger aufgrund seiner Pflicht zur einseitigen Interessenwahrnehmung nur alle zugunsten des Beschuldigten sprechenden Tatsachen und Umstände gegenüber der Ermittlungsbehörde und dem Gericht zur Geltung zu bringen, alle belastenden Tatsachen und Umstände darf er – ohne dass ihm "unvollständiger Sachvortrag" vorzuwerfen ist – verschweigen.
"Alles was der Verteidiger sagt, muss wahr sein, aber er darf nicht alles sagen, was wahr ist."
Rz. 288
Probleme tauchen in diesem Zusammenhang vor allem dann auf, wenn dem Verteidiger vom Beschuldigten falsche Angaben gemacht, gefälschte oder sonst unrichtige oder unzutreffende Unterlagen überreicht werden oder Zeugen benannt werden sollen, die beabsichtigen, falsch auszusagen. Legt der Verteidiger bei positiver Kenntnis entsprechende Unterlagen vor oder benennt er solche Zeugen, ist ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht und darüber hinaus auch eine Strafbarkeit wegen Urkunden- und Aussagedelikten sowie wegen Strafvereitelung mit der Folge eines Verteidigerausschlusses evident. Schwierigkeiten bereiten dagegen die in der Praxis zumeist vorkommenden Fälle, in denen entweder der tatsächliche Kenntnisstand des Verteidigers ungeklärt bleibt oder der Verteidiger die tatsächlichen Hintergründe lediglich vermutet, sich aber letztlich nicht sicher ist. Der BGH lehnt hier zwar eine Beschränkung der Strafbarkeit und einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht auf direkten Vorsatz bei verteidigungsspezifischem Verhalten ab, soweit entsprechende Tatbestände auch bedingt vorsätzlich begangen werden können. Er hat aber eine Regelvermutung für das Nichtvorliegen eines bedingt vorsätzlichen Handelns mit der Begründung angenommen, dass der Verteidiger als "Organ der Rechtspflege" solche Beweismittel, selbst bei erheblichen Zweifeln an der Echtheit, mit dem inneren Vorbehalt vorlege, auch das Gericht werde sie kritisch überprüfen und ihre Fragwürdigkeit nicht übersehen. Dies sei zwangsläufig Folge seiner Funktion zur einseitigen Interessenwahrnehmung.
Rz. 289
Der Verteidiger darf nach alledem seinem Mandanten von einem Geständnis abraten oder Zeugen darüber informieren, dass ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, und diese bitten, davon Gebrauch zu machen. Er darf neben den Mandanten auch Zeugen mit dem Ziel der Sachverhaltserforschung befragen. Auch wenn der Beschuldigte ihm gegenüber die Tat eingeräumt hat, kann, ja muss er auf Freispruch plädieren, wenn nach objektiver Beurteilung ein ausreichender Schuldnachweis nicht geführt ist.
Rz. 290
Dagegen darf er nicht zu wahrheitswidrigen Angaben des Mandanten, z.B. im Zusammenhang mit dem Widerruf eines Geständnisses (s. Rz. 257), raten oder eine Falschaussage herbeiführen. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht kann unter §§ 257, 258 StGB fallen.
Rz. 291– 295
Einstweilen frei.