Rz. 491
Der Verteidiger hat nach § 163a Abs. 2 StPO das Recht, Beweiserhebungen durch die Ermittlungsbehörde zu beantragen (näher § 385 Rz. 725 ff.). Diese ist allerdings nur dann zur Erhebung der beantragten Beweise verpflichtet, wenn sie für das Verfahren "von Bedeutung" sind, wobei die Entscheidung hierüber jedoch allein bei der Ermittlungsbehörde liegt (s. näher § 385 Rz. 153). Bereits aus dieser Abhängigkeit ergibt sich die Notwendigkeit, eigene Beweiserhebungen durchführen zu dürfen.
Rz. 492
Tatsächlich ist der Verteidiger auch berechtigt, eigene Ermittlungen zu führen bzw. eigene Beweiserhebungen vorzunehmen, insbesondere Zeugen, Mitbeschuldigte oder Sachverständige vor oder außerhalb der Hauptverhandlung zu befragen. Dabei kann er sich auch dritter Personen – Sachverständige, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Privatdetektive etc. – bedienen. Um ihre spätere Vernehmung als Zeugen zu verhindern, muss dafür Sorge getragen werden, dass die Dritten ein aus ihrem Verhältnis zum Beschuldigten resultierendes Schweigerecht haben oder als Gehilfe der Verteidigung (§ 53a StPO) agieren. Jedenfalls in diesen Fällen ist die Weitergabe einer Aktenkopie zum Zwecke der Erstellung eines Gutachtens zulässig.
Rz. 493
Richtiger Auffassung nach sind Erhebungen durch den Anwalt bereits deswegen zulässig, weil seine freie Berufsausübung (Art. 12 GG) nicht durch ein entsprechendes Ermittlungsverbot eingegrenzt wird; einer ausdrücklichen Erlaubnisnorm oder Herleitung aus prozessualen Prinzipien, etwa dem der Waffengleichheit oder des fairen Verfahrens, bedarf es nicht.
Rz. 494
Obgleich zulässig, treffen Ermittlungen des Verteidigers bei den Ermittlungsbehörden teilweise auf große Skepsis, so dass sich der Verteidiger bewusst sein sollte, unter kritischer Beobachtung zu stehen. Bei seinen Erhebungen wird er daher nach Möglichkeit bereits den unguten Anschein vermeiden, er würde – unzulässigerweise (§ 258 StGB) – Beweisquellen trüben; der Verteidiger darf zwar Ermittlungen anstellen, muss sich aber an die allgemeinen Gesetze und das Standesrecht (§§ 43 ff. BRAO) halten.
Rz. 495
Dies auch, um den Beweiswert seiner Feststellungen bzw. die Glaubwürdigkeit der benannten Zeugen nicht selbst zu entwerten. Die Gefahr, dass eigene Ermittlungstätigkeit als "versuchte Strafvereitelung" missverstanden wird, ist nicht zu unterschätzen, zumal ein solcher Verdacht Beschlagnahmen beim Verteidiger (§ 97 Abs. 2 Satz 3 StPO, s. Rz. 308) und seinen Ausschluss (§ 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO, s. Rz. 211 ff.) legitimieren könnte.
Rz. 496
Durch eine sachgerechte Dokumentation der eigenen Tätigkeit sollte sichergestellt werden, dass die Ordnungsmäßigkeit der Erhebungsdurchführung im Bedarfsfall transparent gemacht werden kann. Gegebenenfalls wird ein zweiter Anwalt hinzugezogen oder bei der Befragung von Zeugen diesem die Hinzuziehung eines Zeugenbeistands ermöglicht.
Rz. 497
Wie die Beweiserhebung im Einzelnen durchgeführt werden sollte, ist abhängig vom Beweismittel. Insoweit sei auf die einschlägigen Handbücher verwiesen.
Rz. 498
Im Steuerstrafverfahren werden sich eigene Ermittlungen – soweit erforderlich – zumeist auf eine informatorische Befragung der steuerlichen Berater sowie ggf. der Mitarbeiter und Geschäftspartner des Beschuldigten beschränken, soweit diese mit dem jeweils relevanten Besteuerungsvorgang befasst bzw. hieran beteiligt waren. Ferner können Einsichtnahmen in Geschäftsunterlagen des Beschuldigten oder Dritten notwendig werden, soweit diese noch nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind.
Rz. 499
Zentral bei der Befassung mit Zeugen ist, dass deren Aussage zwar nicht getrübt, gleichwohl aber mit rechtlich legitimen Mitteln verhindert werden darf. So ist eine Belehrung des Zeugen über Aussage-/Zeugnisverweigerungsrechte und die Bitte, diese geltend zu machen, zulässig. Soweit es um Steuerberater etc. geht, kann diese Bitte auch mit dem Hinweis auf die Strafbarkeit (§ 203 StGB) des Bruchs der Schweigepflicht versehen werden. Ob für die Geltendmachung eines Zeugnis-/Aussageverweigerungsrechts ein finanzieller Anreiz/Schweigegeld gezahlt werden darf, ist streitig.
Rz. 500
Für alle Beweiserhebungen gilt: Das den Verteidiger treffende Einseitigkeitsgebot verpflichtet ihn, ein Beweismittel nur dann gegenüber der Ermittlungsbehörde und nachfolgend dem Gericht zu benennen, wenn dieser keine belastende Aussage tätigt und sich der Verteidiger hiervon im Rahmen seiner Möglichkeiten zuvor vergewissert hat.
Rz. 501
Vorstehendes gilt auch, wenn der Anwalt mit der Durchführung unternehmensinterner Ermittlungen (Internal Investigation) beauftragt wurde, z.B. darüber, ob in der Vergangenheit Steuermodelle etwa im Zusammenhang mit Auslandsgesellschaften praktiziert wurden, die sich im Lichte der Rechtsentwicklung als imageschädlich und/oder rechtswidrig darstellen könnt...