Rz. 561
Nicht stets, aber doch oft, ist die Verteidigung im Kernstrafrecht reaktiver Natur. Die Ermittlungsergebnisse der Behörden werden abgewartet und darauf reagiert; in Form von Einlassungen, Anträgen etc. Dies muss im Kernstrafrecht nicht zwingend falsch sein, denn wir begegnen auf jeder Ebene des Verfahrens immer wieder kompetenten Ansprechpartnern der gleichen Fachrichtung (Juristen). Da der idealtypische, streng formal und gänzlich vorurteilsfrei unter Ausblendung aller rechtlich irrelevanten Faktoren entscheidende Homo iuridicus ein Trugbild sein dürfte, kann man allerdings auch insoweit vor Fehlbeurteilungen der anderen wie auch der eigenen Seite nicht sicher sein.
Rz. 562
Allerdings werden bei bloß reaktiver/abwartender Verteidigung häufig entscheidende Chancen vertan. Im Ermittlungsverfahren werden die zentralen Weichenstellungen für das gesamte weitere Strafverfahren gestellt, hier entscheidet sich, ob das Verfahren eingestellt oder mit welchem Vorwurf Anklage erhoben wird.
Rz. 563
Dies gilt im besonderen Maße für das Steuerstrafrecht. Denn hier besteht die Problematik, dass der steuerliche Sachverstand nicht in gleicher Weise über das Verfahren verteilt ist. Er konzentriert sich im ersten Glied der sich anschließenden Verfahrenskette. Mit den Finanzbeamten – sei es bei der Betriebsprüfung, der Steufa oder den StraBu – kann man noch über steuerliche Fragen diskutieren; sei es schriftsächlich, sei es in der Diskussion an Amtsstelle. Mit der StA und auch den Strafgerichten gelingt dies weitaus seltener (sind die Argumente hingegen nicht steuerlicher, sondern strafrechtlicher Natur, gilt der umgekehrte Erfahrungssatz). Die steuerlich fein aufgebaute Gegenposition droht dann zu verpuffen.
Rz. 564
Es muss also darauf geachtet werden, dass die erarbeitete Gegenposition möglichst bereits von der Betriebsprüfung oder Steufa aufgegriffen wird. Tun sie es nicht, ist ihre Rechtsposition für das weitere Strafverfahren oft zementiert. Es ist also notwendig, bereits im von der FinB geführten Ermittlungsverfahren gegenläufige Positionen deutlich zu machen. Wer auf eine Korrektur durch die StA oder Gerichte vertraut, wird oft enttäuscht.
Rz. 565
Wenn mit der eigenen steuerrechtlichen Position beim Betriebsprüfer, Steuerfahnder oder der StraBu nicht durchzudringen ist, sollte ein streitiges steuerliches Verfahren erwogen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass Steuerbescheide in die Welt gesetzt wurden. Wann und unter welchen Umständen dies geschieht, liegt zumeist in der Hand der Steufa – die VeranlagungsFÄ warten deren Empfehlung i.d.R. ab. Auch hier wird man im Einspruchsverfahren – also bei der Finanzverwaltung – nicht stets positive Ergebnisse erzielen, die Verwaltung orientiert sich oft an der Steufa. Im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gelangt man aber recht zeitnah an das FG. Hier und im sich ggf. anschließenden Hauptverfahren besteht die Chance, eine fachlich fundierte Bestätigung seiner eigenen Rechtsposition zu erhalten. Dem steht allerdings auch das Risiko gegenüber, eine fachlich gut begründete Niederlage zu erleiden, die jedweden Rechtsdiskussionen mit den strafrechtlichen Behörden den Boden entzieht.
Rz. 566
Schon aufgrund der andersartigen Verteilung von Fachwissen ist es also notwendig, frühzeitig aktiv zu werden.
Rz. 567
Das Gebot der Aktivität ergibt sich aber auch daraus, dass andernfalls nicht eruiert werden kann, ob im konkreten Fall eine einvernehmliche steuer- und steuerstrafrechtliche Erledigung in Betracht kommt. Dies ist häufiger der Fall, als man dies vermuten mag, insbesondere wenn der Mandant über hinreichende Liquidität zur "Schadenswiedergutmachung/Steuernachzahlung" verfügt.
Rz. 568– 570
Einstweilen frei.