aa) Ausgangsituation
Rz. 106
Das Recht des Steuerberaters etc. zur Verteidigung ist – wie dargelegt – gesetzlich begrenzt, es ist teilweise davon abhängig, dass ergänzend ein Rechtsanwalt als geborener Verteidiger mit uneingeschränkten Rechten bestellt wird. Dabei kann es zu Konfliktsituationen zwischen Rechtsanwalt und Steuerberater kommen, z.B. in Fällen, in denen der andere Verteidiger eine abweichende Rechtsauffassung vertritt, dieser sein Mandat – ggf. gerade wegen einer abweichenden Auffassung über die Verteidigung – niederlegt oder sonst aus Gründen des § 138a StPO vom Gericht ausgeschlossen wird oder wenn der andere Verteidiger nicht zur Hauptverhandlung erscheint. In diesen Fällen stellt sich die Frage, wer das Verteidigungsgeschehen bestimmt.
bb) Ausscheiden oder Fehlen eines Verteidigers
Rz. 107
Im Laufe des Verfahrens kann ein Verteidiger auf vielfältige Weise, sei es durch Mandatsniederlegung, durch Zurückweisung oder durch Ausschluss, ausscheiden (Rz. 191 ff.). Bei gemeinschaftlicher Verteidigung von Rechtsanwalt und Steuerberater etc. wirft das besondere Probleme auf.
Rz. 108
Scheidet der Steuerberater etc. aus, ergibt sich keine rechtliche Problemlage, da der Rechtsanwalt auch allein handeln kann (vgl. § 138 Abs. 1 StPO).
Rz. 109
Verliert der Rechtsanwalt sein Mandat, kann der Steuerberater etc. in den Verfahrensabschnitten, in denen er nicht allein agieren kann, nicht mehr handeln. In diesen Fällen verliert der Steuerberater etc. nicht etwa sein Mandat oder seine grds. durch § 392 Abs. 1 AO gewährten prozessualen Rechte. Vielmehr ruht das Mandat bzgl. nur gemeinschaftlich ausübbarer Handlungen und lebt wieder auf, sobald ein neuer Rechtsanwalt als gemeinschaftlicher Verteidiger bestellt ist bzw. der Hinderungsgrund bei dem ausgefallenen Verteidiger entfallen ist. Wird kein neuer Rechtsanwalt bestellt, kann auf Antrag des Beschuldigten gem. § 138 Abs. 2 StPO der Steuerberater etc. auch vom Gericht zum alleinigen Wahlverteidiger bestellt werden.
Rz. 110
Fehlt der Rechtsanwalt (auch nur vorübergehend) in einer Gerichtsverhandlung und ist allein der Steuerberater etc. anwesend, ist der Beschuldigte in den Fällen, in denen gemeinsame Verteidigung vorgeschrieben ist (§ 138 Abs. 2 Alt. 2 StPO für die notwendige Verteidigung oder § 392 Abs. 1 Halbs. 2 AO), in revisibeler Weise nicht ordnungsgemäß vertreten (§ 338 Nr. 5 StPO).
cc) Divergenzen bei prozessualen Anträgen
Rz. 111
Ein aufgrund der regelmäßig erfolgenden Abstimmung von Verfahrensschritten mit dem Mandanten eher theoretischer Fall ist, dass sich Prozesshandlungen oder prozessualen Erklärungen von "geborenem" Verteidiger und Steuerberater etc. widersprechen.
Rz. 112
Beispiel
Die BuStra hat gegen A wegen Steuerhinterziehung ermittelt und legt, da sie "genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage" sieht, die Akten der StA vor (§ 400 Halbs. 2 AO). Diese gibt A und seinen Verteidigern – dem Steuerberater S und dem neu hinzugezogenen Rechtsanwalt R – durch Verfügung vom 1.10. Gelegenheit, zum Ergebnis der Ermittlungen Stellung zu nehmen. S beantragt am 5.10., den Buchhalter Z als Zeugen zu vernehmen. Mit Schriftsatz vom 6.10. teilt R der StA mit, dass er den Beweisantrag zurücknehme. Welche Prozesserklärung hat Geltung?
Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Rz. 113
Zum Teil wird angenommen, dass beide Verteidiger gleichberechtigt sind. Eine Abhängigkeit des Steuerberaters etc. bestehe nur insoweit, als neben ihm auch ein Rechtsanwalt oder Hochschullehrer als Verteidiger bestellt sein müsse. Im Übrigen habe der Steuerberater etc. aber alle Rechte eines Verteidigers und könne von diesen auch selbständig, ggf. sogar im Widerspruch zu Verteidigerhandlungen des Rechtsanwalts Gebrauch machen. Dieser Ansicht nach wäre die Erklärung des steuerlichen Beraters im vorstehenden Beispiel wirksam.
Rz. 114
Nach a.A. sollen jedenfalls wesentliche Prozesshandlungen wie Beweisanträge oder Rechtsmittelerklärungen vom Steuerberater etc. nur unter Mitwirkung eines Rechtsanwalts oder Hochschullehrers erfolgen können. Dieser Auffassung hat sich in der obergerichtlichen Rspr. insbesondere das KG – wenngleich lediglich für die Rechtsmitteleinlegung – angeschlossen (s. Rz. 119).
Rz. 115
Für einen Vorrang des Rechtsanwalts spricht die Ratio des § 392 Abs. 1 Halbs. 2 AO. Im finanzbehördlichen Ermittlungsverfahren soll der steuerliche Berater zwar uneingeschränkt verteidigen kö...