I. Überblick
Rz. 511
Der Steuerstrafverteidiger ist mit der Besonderheit konfrontiert, für den Mandanten zwei Verfahren – ein steuerliches, ein strafrechtliches – abwickeln zu müssen, deren Grundvoraussetzungen verschiedener kaum sein könnten: Steuerlich besteht eine (nicht erzwingbare) Pflicht zur Auskunft, strafrechtlich das Recht zu schweigen. Verweigerte Mitwirkung führt steuerlich zur Befugnis einer Schätzung der steuerlich ungünstigen Variante, während strafrechtlich der In-dubio-Grundsatz zu beachten ist. Anders als im sonstigen Strafrecht gibt es die Möglichkeit, eine bereits vollendete Straftat durch Selbstanzeige ungeschehen zu machen, dabei muss allerdings alles, was strafrechtlich relevant sein könnte, auf den Tisch, obgleich der strafrechtliche Erfolg der Selbstanzeige zu diesem Zeitpunkt ggf. noch nicht sicher feststeht und steuerlich nach wie vor ein Interesse an einer möglichst günstigen Steuerveranlagung besteht.
Rz. 512
Aus den sich teilweise widersprechenden Interessen von Straf- und Steuerverfahren sowie angesichts der Komplexität des Zusammenspiels ergeben sich besondere Haftungsrisiken (Rz. 666 ff.), die von einer entsprechenden Vergütung (Rz. 676 ff.) begleitet werden sollte.
Rz. 513
In diesem Spannungsfeld bedarf es einer besonderen Herangehensweise an das Mandat (Rz. 516 ff.), das ggf. im Team verteidigt werden muss (Rz. 736 ff.).
Rz. 514– 515
Einstweilen frei.
II. Orientierungspunkte der Steuerstrafverteidigung
1. Vermeide das Strafmandat
Rz. 516
Jede Tätigkeit braucht eine Orientierung. Die nachfolgenden fünf Grundsätze sind Orientierungspunkte bei der Bearbeitung steuerstrafrechtlicher Mandate. Orientierungspunkte sind keine feststehenden Regeln zur "Verteidigung lege artis", denn solche Regeln kann es angesichts der Komplexität von Fallgestaltungen und der Verschiedenartigkeit von Reaktionsweisen m.E. nicht geben. Auch könnte man ggf. noch einen 6. oder 7. guten Grundsatz anbringen oder in dem einen oder anderen Fall auch auf einen Grundsatz – z.B. den der Aktivität – verzichten. Die Grundsätze sollen Orientierung geben, sie sind kein Selbstzweck.
Rz. 517
a) Der oberste Grundsatz vieler strafrechtlicher Mandate heißt "Schweigen ist Gold", dies gilt jedenfalls zu Beginn des Mandats. Bei einem nicht steuerlichen Strafverfahren wird es in aller Regel zunächst darum gehen, Informationen zurückzuhalten und die Akte anzufordern, um auf diese Weise in Erfahrung zu bringen, welche Informationen der Gegenseite vorliegen. Häufig wird auch erst anschließend – also nach der Akteneinsicht – ein ausführliches Gespräch mit der Mandantschaft erforderlich bzw. zielführend sein.
Rz. 518
Wer in gleicher Weise an die Bearbeitung eines Steuerstrafmandats herangeht, macht den ersten – haftungsträchtigen – Fehler. Zwar gilt nicht "Reden ist Gold", doch muss man sich über ein etwaiges Reden viel früher und intensiver Gedanken machen.
Rz. 519
b) Dies gilt zunächst für Präventivmandate. Damit sind hier solche gemeint, in denen der Mandant – aus welcher Motivation heraus auch immer – an den Steuerberater oder Rechtsanwalt mit der Bitte herantritt, eine Steuerminderzahlung zu bereinigen.
Rz. 520
Diese Steuerminderzahlung muss als solche noch keinen strafrechtlichen Hintergrund haben – so in den Fällen einfach fahrlässiger Steuerfalscherklärung (kein § 378 AO). Die Steuerminderzahlung kann primär auch von anderen Personen zu verantworten sein – so in den Fällen der Pflichtenübernahme kraft Erbschaft oder aufgrund Übernahme einer Geschäftsführung (§ 153 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Mandant kann auch aufgrund nachträglicher Umstände – Erkennen des eigenen Fehlers, Erkennen fremder Fehler – in der Pflicht sein, diese Fehler zu korrigieren. Unterlässt er eine nach § 153 AO gebotene Fehlerkorrektur, kann dies zu einer (neuen) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) führen und würde eine Straftat begründen.
Rz. 521
Die Steuerminderzahlung kann allerdings auch einen straf-/bußgeldrechtlichen Hintergrund haben, so wenn der Mandant vorsätzlich oder leichtfertig (grob fahrlässig) seine steuerlichen Erklärungspflichten unzureichend erfüllt hat (§§ 370, 378 AO). In diesem Fall würde zwar § 153 AO keinen Ausweg bieten können, wohl aber eine Selbstanzeige nach § 371 AO oder § 378 Abs. 3 AO.
Rz. 522
In den Fällen der Präventivmandate ist also Reden durchaus Gold, wenn denn sämtliche Voraussetzungen für eine zumindest strafbefreiende Erklärung vorhanden sind.
Rz. 523
c) Doch auch im Falle eines echten Verteidigungsmandats wird man sich bereits bei Übernahme des Mandats fragen müssen, ob Teilbereiche vorhanden sind, die mit strafvermeidender (§ 153 AO) oder strafbefreiender (§§ 371, 378 Abs. 3 AO) Kraft nacherklärungsfähig sind.
Rz. 524
Ein echtes Verteidigungsmand...