1. Allgemeines
Rz. 301
Besondere Probleme können sich ergeben, wenn gegen den Verteidiger strafprozessuale Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden. Sie haben i.d.R. negative Auswirkungen auf die Verteidigung und damit auch für den Mandanten. Die näheren Einzelheiten hierzu sind bei § 385 Rz. 232 ff. (allgemein), § 385 Rz. 995 ff. (beim Verteidiger) und § 399 Rz. 273 ff. (mit Handlungsempfehlungen) dargestellt. Deshalb soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick genügen.
Rz. 302
Auch gegen einen Verteidiger sind allgemeine strafprozessuale Zwangsmaßnahmen denkbar bzw. möglich, die Möglichkeiten sind aber mit Blick auf seine besondere Stellung begrenzt. Grundsätzlich unzulässig ist eine Beschränkung des Verkehrsrechts zwischen Verteidiger und Beschuldigtem (§ 148 StPO, s. näher Rz. 356 ff.) sowie die Erzwingung einer Zeugenaussage nach § 70 StPO, soweit der Verteidiger der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegt, vom Beschuldigten hiervon nicht entbunden ist und somit ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO eingreift (s. hierzu Rz. 506). Bei jeglichen – nicht nur zielgerichteten – Ermittlungsmaßnahmen, die einen Verteidiger, Rechtsanwalt, Steuerberater/Wirtschaftsprüfer und ähnliche zeugnisverweigerungsberechtigte Personen betrifft, ist stets ein etwaiger ergänzender Schutz durch § 160a StPO zu prüfen.
Rz. 303– 305
Einstweilen frei.
2. Durchsuchung und Beschlagnahme
Ergänzender Hinweis:
Nr. 56 ff. AStBV (St) 2023/2024; s. AStBV Rz. 56.
Schrifttum:
Burhoff, Sofortmaßnahmen des Verteidigers, PStR 2004, 67; Dann, Durchsuchung und Beschlagnahme in der Anwaltskanzlei, NJW 2015, 2609; Gercke, Durchsuchung in Anwaltskanzleien, PStR 2008, 292; Göggerle, Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe, BB 1986, 41; Momsen/Grützner, Gesetzliche Regelung unternehmensinterner Untersuchungen – Gewinn an Rechtsstaatlichkeit oder unnötige Komplikation?, CCZ 2017, 242; Park, Durchsuchung und Beschlagnahme, 5. Aufl. 2022; Prowatke/Beyer, Die Durchsuchung durch die Steuerfahndung, BBK 2009, 749; Rebehn, Neuregelung zum Beweiserhebungsverbot bei Rechtsanwälten, ZAP 2011, 105; Reiß, Der strafprozessuale Schutz verfassungsrechtlich geschützter Kommunikation vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, StV 2008, 539; Rüping, Steuerberatung, Steuerhinterziehung und Durchsuchung, DStR 2006, 1249; Siegrist, Ermittlungen in Steuer- und Wirtschaftsstrafsachen – Quo Vadis?, wistra 2010, 427; Weisser, Durchsuchungsarreste, präventive Ingewahrsamnahmen und Kontaktsperren zur Ermöglichung von Anschlussdurchsuchungen, wistra 2015, 212.
a) Verteidiger
Rz. 306
Durchsuchungen dürfen überall dort vorgenommen werden, wo mit dem Auffinden beweisrelevanter und beschlagnahmefähiger Beweismittel zu rechnen ist. Insoweit ist auch eine Kanzlei, sowohl die des in der Vergangenheit tätigen Steuerberaters wie auch die des Verteidigers, kein per se durchsuchungsfreier Raum. Allerdings nimmt § 97 StPO sämtliche Unterlagen, Mitteilungen und Aufzeichnungen, die beim Verteidiger lagern und denen eine Verteidigungsbestimmung zukommt, von der Beschlagnahme aus. Geschützt sind – aus § 148 StPO folgend – zudem beim Mandanten befindliche Mitteilungen zwischen Verteidiger und ihm sowie Aufzeichnungen des Mandanten, die dieser zum Zwecke seiner Verteidigung gefertigt hat (sog. Verteidigungsunterlagen). Dies gilt auch für Verteidigungsunterlagen die versehentlich nicht mehr im Gewahrsam des Verteidigers oder des Beschuldigten sind. Laut BVerfG vom 6.11.2014 kann zudem § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO Schutz gegen Beschlagnahmungen beim Verteidiger gewähren soweit ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht (verfassungsrechtlicher Kernbereichsschutz); dies aber gemäß der den Schutz deutlich einschränkenden Entscheidung BVerfG vom 27.6.2018 nicht umfassend (s. hierzu Rz. 307). Auch eine entgegen der Schweigepflicht (§ 203 StGB) durch den Verteidiger/Rechtsanwalt erfolgende freiwillige Herausgabe von Unterlagen, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht, hebelt den Schutz des § 160a Abs. 1 StPO (absolutes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot) nicht aus. Angesichts dieses weiten Beschlagnahme- und Beweisverwertungsverbots wird eine Durchsuchung beim Verteidiger regelmäßig ausscheiden, da eine gezielte Suche nach beweisrelevanten, aber beschlagnahmefreien Verteidigungsunterlagen rechtswidrig wäre.
Rz. 307
Dies gilt nach zutreffender Ansicht unabhängig davon, ob und wann die Ermittlungsbehörden formal ein Ermittlungsverfahren einleiten; zumindest wenn der Anwalt vorausschauend mit Blick auf eine beschuldigtenähnlichen Stellung des Mandanten beauftragt wurde, ist der Schutz zu gewähren, andernfalls hätten es die Ermittlungsbehörden durch willkürlich späte Einleitungsverfügungen in der Hand, ü...