Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 16
Das Recht des Beschuldigten, zum Tatvorwurf zu schweigen, gehört zu den elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien des Straf- und Bußgeldverfahrens. Niemand ist verpflichtet, an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken (nemo tenetur se ipsum accusare). Dieses Recht ist zwar nicht positivrechtlich normiert, ergibt sich aber implizit aus den in der StPO und dem OWiG geregelten Belehrungspflichten (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; § 55 OWiG).
Rz. 17
Es hat jedoch Verfassungsrang. Das BVerfG und der BGH leiten den Nemo-tenetur-Grundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Recht auf Achtung vor der Menschenwürde ab (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Weitere positive Umschreibungen finden sich in Art. 14 Abs. 4 Buchst. g des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ratifiziert von der Bundesrepublik Deutschland) und auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene. Schließlich ist das Prinzip der Aussagefreiheit auch durch Art. 6 MRK in dem Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet, es bildet nach Ansicht des EGMR das Kernstück des Rechts auf ein faires Verfahren. Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, bezieht sich in erster Linie auf belastende Aussagen und gilt auch für den Zeugen, dem ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, wenn er sich durch die wahrheitsgemäße Beantwortung selbst belasten müsste bzw. dazu Gefahr liefe (vgl. § 55 StPO).
Rz. 18
Aus dem Schweigen des Beschuldigten dürfen im Übrigen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Über das Schweigerecht hinaus ist der Beschuldigte berechtigt, jede aktive Mitwirkung an seiner Überführung zu verweigern. Er ist daher auch nicht gehalten, Beweismaterial herauszugeben, weil es keinen Unterschied macht, ob seine Überführung aufgrund von erzwungenen Aussagen oder durch erzwungene Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten ermöglicht wird. Er hat ein Recht auf Passivität. Dagegen ist er zur Duldung strafprozessualer Maßnahmen verpflichtet.