Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
aa) TKÜ wegen schwerer Steuerdelikte
Rz. 270
Eine TKÜ im Fall einer Steuerhinterziehung aufgrund eigener Ermittlungen der FinB war bislang gem. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO a.F. nur zulässig, wenn die Steuerhinterziehung "unter den in § 370 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 genannten Voraussetzungen" begangen wurde (also bei bandenmäßiger Hinterziehung von Umsatz- oder Verbrauchssteuern). Mit Wirkung vom 1.7.2021 erfasst § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO n.F. (eingeführt angesichts der Cum-ex-Geschäfte, s. § 370 Rz. 1750 ff.) nunmehr auch bandenmäßige Steuerhinterziehungen sämtlicher Steuerarten (z.B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) in großem Ausmaß gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO. Des Weiteren ist eine TKÜ auch zulässig bei schwerem Schmuggel und gewerbs- oder bandenmäßiger Steuerhehlerei (§ 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b-c StPO i.V.m. §§ 373, 374 Abs. 2 AO; s. dazu näher § 370 Rz. 1122 ff.; § 385 Rz. 404; § 373 Rz. 164 und § 374 Rz. 133). Das gilt auch dann, wenn die FinB das Steuerstrafverfahren in diesen Fällen nicht selbständig führt, sondern an die StA abgegeben hat (vgl. § 386 Abs. 4 Satz 1 AO). Auch dann ist sie grds. mit den Ermittlungen betraut und hat Erkenntnisse i.S.d. § 393 Abs. 2 Satz 2 rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen.
Rz. 271
Der Umfang der steuerlichen Verwertbarkeit wird aber bei Steuerhinterziehungen im Zusammenspiel mit § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO begrenzt auf Erkenntnisse, die eine bandenmäßige Steuerhinterziehung in großem Ausmaß oder Umsatz- oder Verbrauchsteuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AO) sowie die zeitlich von der Steuer-Katalogtat mit umfassten Steuerzeiträume betreffen. Gleiches gilt für Erkenntnisse aus einer TKÜ gem. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b, c StPO betr. eine einfache Einfuhrabgabenhinterziehung und Steuerhehlerei (§ 370 Abs. 1, § 374 Abs. 1 AO; s. Rz. 275 f., 278).
Die Gegenansicht verneint eine steuerartspezifische Zweckbindung im vorbezeichneten Sinne und führt als Argument die steuerliche Belastungsgleichheit an. Gleichwohl werden verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese weite Auslegung der Norm konzediert, da auch das BVerfG bei der Weiterverwendung von Daten, die unter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) erlangt wurden, im Grundsatz von einer sog. Zweckbindung ausgeht.
Rz. 272
Die Rechtmäßigkeit der TKÜ der FinB/StA richtet sich nach §§ 100a, 100e StPO (s. dazu § 385 Rz. 402, 404 ff., 413 f.). Das setzt voraus, dass ein entsprechender Tatverdacht bzgl. einer der genannten Katalogtaten (s. Rz. 271) vorgelegen hat (vgl. auch BFH in Rz. 281), die sonstigen Regelungen des § 100a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO beachtet und der Richtervorbehalt (§ 100e StPO) eingehalten wurden.
Hierbei können Fälle auftreten, bei denen die Erkenntnisse trotz rechtswidriger Beweisgewinnung mangels eines eigenständigen strafrechtlichen Verwertungsverbotes verwertbar sind, jedoch wegen der rechtswidrigen Erlangung steuerlich nicht verwendet werden dürfen. Beispiele dafür sind die "präventive" TKÜ, für die es keine Rechtsgrundlage gibt, unvollständige oder nicht substantiell begründete richterliche Anordnungen i.S.d. § 100e Abs. 1 StPO sowie eine unverhältnismäßige TKÜ. Bei einer unzulässigen TKÜ dürfen die gewonnenen Tatsachen im Besteuerungsverfahren nicht verwendet werden (qualifiziert-materielles Verwertungsverbot wegen Verstoßes gegen Art. 10 GG).