Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 273
Problematisch ist die Verwendungsbefugnis gem. § 393 Abs. 3 Satz 2 AO vor allem für anlässlich einer TKÜ gewonnene steuerlich relevante Tatsachen, die sich auf einen nicht in § 100a Abs. 2 StPO aufgeführten Straftatbestand beziehen und über die die FinB durch andere Strafverfolgungsbehörden informiert wird. Die Verwertbarkeit solcher Zufallsfunde im Besteuerungsverfahren ist umstritten.
Der BFH hat dies abgelehnt (s. Rz. 278). Die Literatur bejaht z.T. eine Verwertbarkeit im Besteuerungsverfahren, jedenfalls soweit eine Katalogtat nach § 100a Abs. 2 StPO vorliegt oder eine sachliche oder prozessuale Tateinheit mit der Anlasstat der TKÜ.
Rz. 274
Strafprozessual sind diese "Zufallsfunde" betr. Nichtkatalogtaten (z.B. einfache Steuerhinterziehungen) nicht verwertbar und dürfen damit im Strafverfahren gegen den Beschuldigten nicht verwendet werden.
Rz. 275
Einer Übermittlung und Verwendung derartiger Daten durch die FinB steht § 479 n.F. (vormals § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO i.d.F. des TKÜG) entgegen, der nur begrenzt Auskünfte und Verwendungen von nach §§ 474–477 StPO erlangten Daten zulässt (s. dazu auch BFH vom 24.4.2013 im Beispiel in Rz. 281). Im Ergebnis entsprechen die überarbeiteten Regelungen der bisherigen Rechtslage.
§ 479 StPO Übermittlungsverbote und Verwendungsbeschränkungen [Auszug]
(1) Auskünfte nach den §§ 474 bis 476 und Datenübermittlungen von Amts wegen nach § 477 sind zu versagen, wenn ihnen Zwecke des Strafverfahrens, auch die Gefährdung des Untersuchungszwecks in einem anderen Strafverfahren, oder besondere bundesgesetzliche oder landesgesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen.
(2) Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so gilt für die Verwendung der auf Grund einer solchen Maßnahme erlangten Daten in anderen Strafverfahren § 161 Absatz 3 entsprechend. Darüber hinaus dürfen verwertbare personenbezogene Daten, die durch eine Maßnahme der nach Satz 1 bezeichneten Art erlangt worden sind, ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen nur verwendet werden
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1. zu Zwecken der Gefahrenabwehr, soweit sie dafür durch eine entsprechende Maßnahme nach den für die zuständige Stelle geltenden Gesetzen erhoben werden könnten, |
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2. zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für die Sicherheit oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder für bedeutende Vermögenswerte, wenn sich aus den Daten im Einzelfall jeweils konkrete Ansätze zur Abwehr einer solchen Gefahr erkennen lassen, |
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3. für Zwecke, für die eine Übermittlung nach § 18 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zulässig ist, sowie |
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4. nach Maßgabe des § 476. |
§ 100i Absatz 2 Satz 2 und § 108 Absatz 2 und 3 bleiben unberührt.
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Rz. 276
Die Neuregelung des § 479 Abs. 2 StPO trägt durch die Verweisung auf § 161 Abs. 3 StPO Vorschriften zur zweckändernden Verwendung und Vorgaben des BVerfG zum Grundsatz der hypothetischen Ersatzerhebung ("hypothetischer Ersatzeingriff") Rechnung. Danach dürfen Erkenntnisse, die durch eine Ermittlungsmaßnahme erlangt wurden, zur Verfolgung einer anderen Tat als der ursprünglich ermittelten nur verwendet werden, wenn bei der anderen Tat die gleiche Maßnahme hätte angeordnet werden dürfen.
Rz. 277
Eine TKÜ darf im Bereich der Steuerdelikte nur bei der bandenmäßigen Hinterziehung von Steuern in großem Ausmaß, Umsatz- und Verbrauchsteuer bzw. schwerem Schmuggel oder schwerer Steuerhehlerei gem. §§ 373, 374 Abs. 2 AO angeordnet werden (§ 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a–c StPO n.F.). Bei anderen Steuerhinterziehungen – auch wenn diese theoretisch ein anderes Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 AO erfüllen – oder einfacher Einfuhrabgabenhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO oder Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1 AO (s. Rz. 271) dürften die Abhörmaßnahmen nicht angeordnet werden. Der Wortlaut des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a-c StPO ist insoweit eindeutig.
Rz. 278
Zufallserkenntnisse aus einer gegen einen anderen Beschuldigten durchgeführten Telefonüberwachung dürfen in einem Besteuerungsverfahren gegen den Betroffenen nicht verwendet werden und stehen dem Erlass eines Haftungsbescheids entgegen, wenn die dem Betroffenen darin zur Last gelegte Straftat (in casu: einfache Steuerhehlerei) strafprozessual die Anordnung einer Telefonüberwachung gem. § 100a StPO nicht gerechtfertigt hätte (so der BFH vom 24.4.2013).
Damit dürfen Zufallserkenntnisse aus einer TKÜ nur dann verwertet werden, wenn sich die Erkenntnisse auf Katalogtaten i.S.d. § 100a StPO beziehen. Selbst bei § 100a StPO n.F. gehört jedoch die einfache Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) nicht dazu (im Gegensatz zur gewerbs- oder bandenmäßigen Steuerhehlerei, vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO i.V.m. § 374 Abs. 2 AO).
Rz. 279
Zur gewandelten Rspr. des BFH zur Inhaftungnahme wegen Tabaksteuer s. aber § 374 Rz. 118.1 m.w.N. Danach kann Haftungsschuldner ...