Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 185
§ 393 Abs. 2 StPO ist eine strafprozessuale Norm, im Gegensatz zu §§ 393 Abs. 1 Satz 2–4 und Abs. 3 AO, die systematisch dem Steuerverfahrensrecht zuzuordnen sind. Sie ist allgemeiner Natur, da sie nicht wie der Dritte Abschnitt des Achten Teils der AO, das "Strafverfahren wegen Steuerstraftaten" i.S.d. § 385 Abs. 1 AO betrifft, sondern die Verfolgung nichtsteuerlicher Straftaten.
Sie steht aber sachlich im Zusammenhang mit dem (steuerlichen) Offenbarungsverbot des § 30 AO. Auch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) gewährt in Fällen, in denen die FinB beim Zusammentreffen von Steuerdelikten mit Allgemeinstraftaten mangels Verfahrensherrschaft gem. § 386 Abs. 2 AO den Vorgang der StA vorlegt oder gem. § 386 Abs. 4 AO an die StA abgibt, keinen hinreichenden Schutz, denn die StA müsste wegen des Legalitätsprinzips die Ermittlungen auch in Bezug auf die Nichtsteuerstraftat erstrecken.
§ 393 Abs. 2 AO ergänzt den Schutz des Stpfl., der seine steuerlichen Erklärungspflichten erfüllt und dabei eigene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten aufdeckt. Mit dieser Vorschrift versucht der Gesetzgeber den Widerspruch zwischen den umfassenden steuerlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten und dem Verbot des Selbstbelastungszwanges zu lösen.
Rz. 185.1
§ 393 Abs. 2 Satz 1 AO begründet daher bzgl. nichtsteuerlicher Straftaten ein (strafprozessuales) Verwendungsverbot.
Rz. 185.2
Dabei ist wegen der gesetzlichen Terminologie str., ob es sich um ein Verwendungs- oder Verwertungsverbot handelt (s. Rz. 228 ff. auch zu den Folgen).
Rz. 185.3
Eine Ausnahme besteht allerdings für Straftaten, an deren Verfolgung ein "zwingendes öffentliches Interesse" besteht (§ 393 Abs. 2 Satz 2, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO). Der Gesetzgeber nimmt mit dieser Regelung eine Beschränkung der Selbstbelastungsfreiheit ausdrücklich im Sinne der Verfolgung besonders gravierender Straftaten in Kauf (zum Streit um die Verfassungswidrigkeit der Regelung s. Rz. 242 ff.).
Rz. 186
Das Verwendungsverbot wird überwiegend für verfassungsrechtlich erforderlich gehalten, da sie den Stpfl. schützen soll, der seine steuerliche Mitwirkungspflicht auch im Hinblick auf § 40 AO korrekt erfüllt und dabei Einkünfte aus illegalen Quellen offenbart (s. dazu auch Rz. 48 und § 370 Rz. 1248 ff.). Gleichwohl gibt § 393 Abs. 2 AO in mehrerer Hinsicht Anlass für verfassungsrechtliche Bedenken. So ist insbesondere umstritten, ob das Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 allein auf Tatsachen oder Beweismittel bezogen ist, die in einem gegen den Stpfl. gerichteten Steuerstrafverfahren zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts gekommen sind (s. dazu Rz. 215 m.w.N.). Zum anderen wird die Verfassungsgemäßheit der Ausnahmeregelung des § 393 Abs. 2 Satz 2 AO überwiegend in Zweifel gezogen (s. Rz. 242 ff. m.w.N.).