Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Parallelität
Rz. 31
Das Strafverfahren und das Besteuerungsverfahren können zeitgleich und parallel nebeneinander verlaufen. Die AO geht dabei – wie es § 393 Abs. 1 Satz 1 AO zum Ausdruck bringt – vom Grundsatz der Unabhängigkeit beider Verfahrensarten aus. Danach richten sich die Rechte und Pflichten des Stpfl. und der FinB nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Bedeutsam ist dies vor allem deshalb, weil der Stpfl. im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet ist (§§ 90, 200 Abs. 1 und 2 AO); er hat wahrheitsgemäß alle für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig offenzulegen und die ihm bekannten Beweismittel anzugeben. Es können Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO) eingesetzt oder die Besteuerungsgrundlagen geschätzt (§ 162 AO) werden. Die durch § 393 Abs. 1 Satz 1 AO angeordnete Trennung des Besteuerungs- und des Steuerstrafverfahrens schützt den Beschuldigten, gegen den ein Besteuerungsverfahren wegen desselben steuerlichen Sachverhalts durchführt wird. Es handelt sich um eine zentrale Regelung des Steuerstrafverfahrensrechts.
Rz. 32
Ein Vorrang des Strafverfahrens ist nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht vorgesehen.
Nach st. Rspr. von BVerfG und BFH darf eine Außenprüfung auch nach Einleitung des Strafverfahrens angeordnet und durchgeführt bzw. fortgesetzt werden (so auch der BGH vom 16.6.2006). Voraussetzung ist allerdings beim Verdacht einer Straftat die Bekanntgabe und Belehrung des Stpfl. Es besteht keine Verpflichtung, eines der beiden Verfahren bis zur Beendigung des anderen auszusetzen. Die Anordnung einer Außenprüfung ist auch zulässig, soweit ausschließlich festgestellt werden soll, ob und inwieweit Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind. Eine sich insoweit gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung besteht nicht.
Zu der eigenständigen Beurteilung der Schuldfeststellung im Besteuerungsverfahren durch das FA oder des FG s. auch Rz. 14 m.w.N.
Rz. 33
Gleichwohl hat das Strafverfahren gravierende Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren (s. Rz. 34 ff.; 106 ff.). Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren sind dabei von unterschiedlichen Verfahrensprinzipien und -zielen geprägt, die im Folgenden dargestellt werden.
2. Rechte und Pflichten im Besteuerungsverfahren
a) Mitwirkungspflichten
Rz. 34
Im Besteuerungsverfahren haben die FinB (i.S.d. § 6 AO) die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden (§ 85 AO). Nach § 88 AO hat die FinB den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.
Im Rahmen der Ermittlungstätigkeit sind sowohl dem Stpfl. wie auch dritten Personen umfassende Mitwirkungspflichten auferlegt, denen diese insbesondere dadurch nachkommen, dass sie "die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben" (§ 90 Abs. 1 AO).
Zu den Mitwirkungspflichten gehören u.a. die Auskunftspflicht nach § 93 AO, die Pflicht zur Versicherung an Eides statt (§ 95 AO), die Pflicht zur Vorlage von Urkunden (§ 97 AO), das Dulden des Betretens von Grundstücken und Räumen nach § 210 AO, die Pflicht zur Vorlage von Wertsachen nach § 100 AO, die Mitwirkungspflicht bei Personenstands- und Betriebsaufnahmen nach § 135 AO, die Anzei...