Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Konfliktlage
Rz. 15
Besteuerungsverfahren und Strafverfahren haben i.d.R. ein und denselben Sachverhalt zum Gegenstand, werden meist gleichzeitig durchgeführt, häufig von der gleichen Behörde (§ 386 Abs. 1, 2 AO) und u.U. sogar vom selben Beamten (vgl. § 208 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO). Beide Verfahren werden jedoch von verschiedenen Prinzipien beherrscht, die z.T. einander widersprechen. So treffen den Stpfl. im Besteuerungsverfahren weitreichende Mitwirkungs-, Erklärungs-, Auskunfts- und Offenbarungspflichten, deren Erfüllung gem. §§ 328 ff. AO erzwungen werden kann (s. näher Rz. 34 f.). Im Strafverfahren kann der Stpfl. dagegen als Beschuldigter jede Mitwirkung verweigern (s. auch § 385 Rz. 143 ff.).
2. Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren
Rz. 16
Das Recht des Beschuldigten, zum Tatvorwurf zu schweigen, gehört zu den elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien des Straf- und Bußgeldverfahrens. Niemand ist verpflichtet, an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken (nemo tenetur se ipsum accusare). Dieses Recht ist zwar nicht positivrechtlich normiert, ergibt sich aber implizit aus den in der StPO und dem OWiG geregelten Belehrungspflichten (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; § 55 OWiG).
Rz. 17
Es hat jedoch Verfassungsrang. Das BVerfG und der BGH leiten den Nemo-tenetur-Grundsatz aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Recht auf Achtung vor der Menschenwürde ab (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Weitere positive Umschreibungen finden sich in Art. 14 Abs. 4 Buchst. g des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ratifiziert von der Bundesrepublik Deutschland) und auch auf landesverfassungsrechtlicher Ebene. Schließlich ist das Prinzip der Aussagefreiheit auch durch Art. 6 MRK in dem Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet, es bildet nach Ansicht des EGMR das Kernstück des Rechts auf ein faires Verfahren. Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, bezieht sich in erster Linie auf belastende Aussagen und gilt auch für den Zeugen, dem ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht, wenn er sich durch die wahrheitsgemäße Beantwortung selbst belasten müsste bzw. dazu Gefahr liefe (vgl. § 55 StPO).
Rz. 18
Aus dem Schweigen des Beschuldigten dürfen im Übrigen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Über das Schweigerecht hinaus ist der Beschuldigte berechtigt, jede aktive Mitwirkung an seiner Überführung zu verweigern. Er ist daher auch nicht gehalten, Beweismaterial herauszugeben, weil es keinen Unterschied macht, ob seine Überführung aufgrund von erzwungenen Aussagen oder durch erzwungene Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten ermöglicht wird. Er hat ein Recht auf Passivität. Dagegen ist er zur Duldung strafprozessualer Maßnahmen verpflichtet.
3. Gesetzliche Lösung
Rz. 19
Die gesetzlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Steuerrechts stehen daher in einem erheblichen Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Zur Lösung dieser Konfliktsituation bieten sich grds. mehrere Möglichkeiten an. Denkbar ist es, die steuerlichen Mitwirkungspflichten gänzlich außer Kraft zu setzen, wenn das Ermittlungsverfahren wegen einer Steuerstraftat eingeleitet ist oder der Stpfl. sich bei Erfüllung seiner Pflichten selbst belasten müsste. Auch wäre es möglich, die Mitwirkungspflichten fortbestehen zu lassen, aber auf die Anwendung von Zwangsmitteln in diesem Zusammenhang zu verzichten. Des Weiteren kann man an der Erzwingbarkeit der Mitwirkungspflichten festhalten, aber die strafrechtliche Unverwertbarkeit der offenbarten Angaben festlegen. Schließlich käme in Betracht, das rechtsschutzschwächere Besteuerungsverfahren bis zur Entsch...